Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
heißen.
Denn in seinen Romanen kehrt Johnson immer wieder in die Heimat zurück. Er lässt viel plattdeutsche Rede einfließen in seine Texte – und bewahrt den
Dialekt auf diese Weise auf. Vielleicht machen sich irgendwann doch die Niederdeutsch-Übungen der Kindergartenkinder bezahlt, wenn die Kleinen später
einmal, als Erwachsene, fließend Johnson lesen, wo andere ein Glossar brauchen. Auch geographisch ist Uwe Johnson nah dran am alten Fritz Reuter, indem er
lauter authentische Ortschaften auftreten lässt. Allerdings sind die wichtigsten Handlungsorte seiner Romane fiktiv. Das Dorf Jerichow zum Beispiel, von
dem sein Hauptwerk »Jahrestage« handelt. Fiktion oder nicht – die Gemeinschaft der Uwe-Johnson-Deuter meint den Ort trotzdem ausgemacht zu haben: Man hat
sich auf Klütz bei Wismar geeinigt. Dort steht heute ein dem Autor gewidmetes Literaturhaus.
Mecklenburgs und Vorpommerns Verhältnis zu Uwe Johnson ist geprägt durch jahrzehntelange Nicht-Wahrnehmung. In der DDR wurde fast
nichts von ihm verlegt, obwohl man bis heute in Recknitz und anderswo Menschen trifft, die sich noch an »Uwe« erinnern können. Entsprechend rieb sich das
Lesepublikum nach dem Fall der Mauer die Augen. Uwe Johnson einer der wichtigsten Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands? Nie gehört.
Eindeutig eine Bildungslücke, wenn auch eine staatlich verordnete. Damit das nicht wieder passiert, folgt eine Lektüreliste – zum
Einstimmen und Ausspannen:
Johann Heinrich Voß (1751 bis 1826): Gedichte, für Ausdauernde auch die seinerzeit berühmten Homer-Übersetzungen. Der von
Goethe geschätzte Autor wurde in Sommerstorf bei Waren/Müritz geboren und lebte unter anderem in Neubrandenburg und Penzlin. Er entwarf sogar eine
niederdeutsche Kunstsprache. Das kam aber nicht besonders an.
Hans Fallada (1893 bis 1947): »Heute bei uns zu Haus«. Teil zwei der Memoiren des gebürtigen Greifswalders Fallada, geschrieben
im Inneren der Mecklenburgischen Schweiz – und in der inneren Emigration, 1943. Das Haus des »Blechnapf«-Autors in Carwitz ist heute ein Wallfahrtsort
für Fallada-Fans – und die Landschaft ringsherum ein Gedicht.
Wolfgang Koeppen (1906 bis 1996): »Jugend«. Der alte Grantler aus Greifswald erinnert sich bissig und bärbeißig an seine frühen
Jahre in Vorpommern. Was Koeppen zu sagen hatte, das sagte er in den 50er-Jahren. Danach warmehr oder weniger Sendepause. Seine
Jugenderinnerungen bildeten eine Ausnahme – erschienen 1976.
Ehm Welk (1884 bis 1966): »Die Heiden von Kummerow«. Noch einmal innere Emigration, burlesk gewendet. Welk verfasste
herzerfrischende Geschichten, angesiedelt in einem exemplarischen norddeutschen Dorf. Storys von dem zehnjährigen Martin Grambauer und seinen Freunden,
erschienen 1937, später immer wieder neu aufgelegt und sogar in Vilmnitz auf Rügen erfolgreich verfilmt.
Hans Werner Richter (1908 bis 1993): »Spuren im Sand«. Richter wurde weniger durch seine Literatur als durch seinen Einfluss
auf den Literaturbetrieb der Bundesrepublik berühmt. Er war einer der Gründer der legendären Gruppe 47, die in berüchtigten Diskussionsrunden die Werke
junger Literaten durch den Wolf drehte. Richter kam auf Usedom zur Welt, und er wurde auch auf der Insel bestattet. »Spuren im Sand« spielt auf Usedom –
Richter verarbeitete Autobiographisches.
Christa Wolf (geboren 1929): »Sommerstück«. Die Wolfs waren viele Jahre Teilzeit-Mecklenburger. Einmal brannte ihr Häuschen
nahe Schwerin ab. Davon erzählt das »Sommerstück« – vor allem aber ist es eine Momentaufnahme der späten DDR, die beweist: In der mecklenburgischen
Provinz kommt nichts später als anderswo, und dann kommt es auch noch schlimmer.
Brigitte Reimann (1933 bis 1973): »Franziska Linkerhand«. Ihr unvollendetes Spätwerk über eine junge Architektin schrieb die
Autorin hauptsächlich in Neubrandenburg, wosie ihre letzten Lebensjahre verbrachte. Während der Arbeit am 15. Kapitel starb Brigitte
Reimann – mit 39 Jahren. 1974 wurde das Buch postum veröffentlicht. 1998 noch einmal – inklusive der zuvor von der Zensur gestrichenen Passagen. Auch
empfehlenswert: die Tagebücher der Reimann.
Jürgen Landt (geboren 1957): »Der Sonnenküsser«. Brachialer Roman, ungebärdig und laut. Die Geschichte einer Jugend in Demmin
zwischen Kriminalität, Knast und Ausbürgerung aus der DDR. Trägt autobiographische Züge, aber Landt erzählt für bloße Memoiren
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