Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
war.
Man kann sich leicht aus den Augen verlieren bei der Vielzahl an Schaulustigen, die sich Jahr für Jahr über die Volksfeste des Landes schieben. Allein
die Hanse Sail zählt knapp eine Million Gäste. Dutzende Biertresen, Souvenirstände, an denen man echte Seemannsknoten und Frühstücksbretter mit
eingebrannten Liebesschwüren erwerben kann, mobile Piercing- und Haarflechtstationen locken den unschuldig Flanierenden – und passt der einmal nicht auf,
sind schwuppdiwupp die Angehörigen weg. Hier werde ich bestimmt nicht alt, kalauert es in meinem Kopf, als ich eine Holzbude passiere, deren
Insasse von sich behauptet, die Lebenslinien meiner Hand und die der hunderttausend anderen Gäste lesen zu können.
Ich will mit meiner zweijährigen Tochter einmal über die Vergnügungsmeile gehen, hoch zu den etwa zwei Kilometer entfernten großen Speichergebäuden,
die aus der Entfernung immer so majestätisch über das Wasser der Warnow schauen. Auf dem Weg möchte ich ihr Schiffe, Kapitäne, Galionsfiguren und Matrosen
zeigen. Da taucht plötzlich eine alte Freundin vor uns auf. Sie trägt ein quietschgelbes Entenkostüm, wie man es vielleicht aus Vergnügungsparks kennt,
und scheint, wie auch der eine oder andere Besucher, ein wenig angetrunken zu sein, was angesichts ihrer Maskerade sicher nicht von Nachteil ist. Durch
den Schnabel säuselt sie mir ins Ohr, dass dies ihr Junggesellinnenabschied sei und dass ich sie gegen eine Gebühr nun küssen dürfe, hicks, oder so. Wenn
Sie hundert Euro zusammen habe, dann mache sie später einen Rundflug. Ungläubig schaue ich auf ihr Federkleid. »Mit dem Heißluftballon«, ergänzt meine
Entenfreundin. »DenRest zahlen die«, zeigt sie mit ihrem Flügel auf eine Gruppe schnatternder junger Frauen. Ich gebe ihr einen Kuss,
lass ein paar Münzen in die Sammeltasse fallen und wünsche einen guten Flug. Eine traumhafte Idee, sich das maritime Fest, die vielen Traditionssegler,
Museumsschiffe und Fähren aus der Vogelperspektive anzusehen. Auch Wasserflugzeuge und selbst ein Riesenrad bieten die Gelegenheit einer phantastischen
Aussicht.
An jedem zweiten Augustwochenende im Jahr verwandelt sich an vier Tagen das Terrain zwischen dem Stadthafen im Zentrum Rostocks und dem ca. 15
Kilometer nördlich gelegenen Ostseebad Warnemünde in ein farbenfrohes Treiben aus Menschen und Booten. Wir setzen unseren Weg fort, rechts die Buden,
links die unzähligen Boote, die über Kilometer in Dreier- und Viererpacks an der Kaikante liegen. Tagesgäste und Möwen tummeln sich auf den Stegen, linsen
neugierig in die Kajüten, andere sitzen an Deck, essen und trinken oder spannen einfach in den Netzen der Segler aus. Die Stimmung ist vergnügt, man
unterhält und amüsiert sich oder schaut gelassen den vorbei laufenden Schiffen und Menschen zu. Nach einer halben Stunde des stummen Staunens trommelt mir
meine noch immer auf den Schultern sitzende Tochter auf den Kopf, zeigt mit ihrem kleinen Arm in Richtung Wasser und ruft: »Boooot«. Genau. Gerade schiebt
sich ein riesiger Windjammer an uns vorbei. Damit bezeichnet man Großsegler mit mehreren Masten, deren Körper es auf ca. 60 bis 110 Meter Länge
bringen. Sedow, Krusenstern, Gorch Fock oder Mir sind Namen solcher stolzen und eleganten Schiffe, die regelmäßig hier zu Gast sind. Hier und in den
schwedischen Städten Karlskrona, Gävle und Halmstad, in Lübeck-Travemünde, in Danzigund Swinemünde in Polen, im dänischen Helsingør
sowie in Klaipeda, in Litauen. Das sind in den Sommermonaten die Veranstaltungsorte der sogenannten Baltic Sail, deren Mecklenburger Pendant die Hanse
Sail in Rostock ist und die zu den weltweit bedeutendsten Treffen von Museumsschiffen und Traditionsseglern zählen.
Wir erreichen die größte Freifläche des Stadthafens, die Haedgehalbinsel, ein Marineschiff protzt mit seinen Kanonen. Die gut gelaunte Bundeswehr nutzt
die romantische Seefahreratmosphäre, sich und ihre Kriegstechnik zu präsentieren. Ein älterer Herr mit dunkelblauer Mütze lässt sich von einem Soldaten
die Gerätschaften erklären, vergleicht neueste Daten mit seinen Erinnerungen und verstaut glänzende Imagebroschüren in seinem mitgebrachten
Stoffbeutel.
Vor uns sehe ich nun Geisterbahnen und andere famose Fahrgeschäfte. In einem alle anderen überragenden Ungeheuer von Karussell, das an eine
amerikanische Ölpumpe erinnert, werden die offenbar Freiwilligen zunächst wie Astronauten
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