Mecklenburger Winter
lagen.
Überraschenderweise, und noch ein Beweis dafür, wie aufgewühlt er war, zog er sie nicht zurück. Er hob den Kopf und sah Kai direkt an. Dieser hatte das Gefühl, dass Leon ihn schier aussaugte, sich von ihm all jenes Verständnis holte, holen musste, welches ihm daheim versagt blieb.
„Es tut mir so leid“, murmelte Kai, meinte es universell. „Es ist gut, dass du zu mir gekommen bist. Mir ist es egal, was andere denken. Lass es raus.“ Leon starrte ihn an, seine Lippen bebten und er seufzte. Kai konnte die Last förmlich sehen, die ihn hinabdrückte.
„Samstag“, erklärte er leise, „das war schon am Samstag.“
Kais Mund klappte auf. Verdammt! Leon hatte seit Samstag mit dieser Trauer und seinen Gefühlen alleine dagestanden? Unfähig, sie zu zeigen, ohne Verständnis zuhause? Es musste die Hölle gewesen sein.
„Was hat denn deine Mutter dazu gesagt?“ Leons schmerzlicher Gesichtsausdruck ließ Kai seine Frage augenblicklich bereuen. „Nicht viel. Sie sagt nie sehr viel. Wir brauchen das Geld. Ich kann mit ihr nicht über so etwas reden, sie gibt meinem Vater dann ohnehin Recht.“ Keinen Rückhalt, nicht einmal bei seiner Mutter. Kai kannte das Gefühl durchaus. Es schien ihm, als ob er und Leon Leidensgenossen wären.
„Warum bist du denn nicht gleich hergekommen?“ Kais Hand umschloss Leons fester und dieser leistete keinen Widerstand. Es duftete nach angebratenem Gemüse, allerdings konnte Kai sich nicht aufraffen, es vor dem Verbrennen zu retten. Nicht, wenn er dafür Leons Hand loslassen musste.
Leon verzog den Mund ein wenig. „Ich kann doch nicht immer wegen jedem Scheiß gleich zu dir rennen“, wandte er ein. „Doch! Kannst du.“ Kais Temperament kochte hoch. „Scheiße, du frisst das tagelang in dich hinein? Warum hast du mich nicht mal angerufen?“ Leon zuckte hilflos die Schultern. „Ich wollte nicht … nachdem wir … ich“, stammelte er verlegen. „Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Du hättest ja auch sauer auf mich sein können. Und ich wollte dir nicht auf die Nerven fallen.“
Abermals schluckte er, hob den Blick immerhin zu Kais Kinn. „Ich wollte bei dir bestimmt nicht auftauchen und dir was vorheulen.“ Seine Stimme verlor sich beinahe. „Ich wäre einfach geplatzt, wenn ich heute alleine in meinem Zimmer geblieben wäre. Es tut mir leid ...“ Kai unterbrach ihn rigoros: „Das war genau richtig. Wenn du nicht mit mir reden kannst, mit wem dann?“ Verblüfft starrte ihn Leon an, so schrecklich fassungslos, dass es Kai noch mehr schmerzte. Mein Gott, Leon hat nie gelernt, sich jemandem gefühlsmäßig anzuvertrauen.
„Ich habe es dir gesagt und ich halte mein Wort. Leon, wenn du noch immer nicht begriffen hast, was du mir bedeutest, kann ich es auch nicht ändern. Aber ich schwöre dir, dass ich noch nie für jemanden so intensiv empfunden habe und egal, was du selbst empfindest, es wird nichts an meinen Gefühlen ändern“
Kai holte Luft, selbst erstaunt über seinen Gefühlsausbruch. Hastig sprang er auf und rettete das unglückliche Gemüse vor dem Flammentod. Die Nudeln hatten sich brav selbst weichgekocht und er war für den Moment vollauf damit beschäftigt, den Schaden am Gemüse zu begrenzen. Leon war aufgestanden und neben ihn getreten, half ihm wortlos mit den Nudeln. Sie arbeiten Hand in Hand, schwiegen, bis sie gemeinsam am Tisch saßen.
„Ich habe keine Ahnung, ob du so etwas magst“, durchbrach Kai die lastende Stille. „Riecht ganz gut.“ Leon, stocherte ein wenig unschlüssig in dem Essen herum. „Ich ...“ Er setze erneut an. „Ich weiß nicht, was ich denken soll“, brach es aus ihm heraus. „Wenn ich bei dir bin, ist alles großartig und erscheint mir richtig und gut. Ich fühle mich klasse und kann mit dir immer so offen reden. Aber ...“ Er senkte seine Gabel, spießte etwas auf, was wohl mal eine Paprika gewesen war. „Ich sollte nicht so fühlen. Ich meine, es wäre viel einfacher, wenn ich mich in ein Mädchen … verlieben würde. Stattdessen … Oh Mann, Kai, ich weiß einfach gar nichts darüber.“ Leon entließ seufzend den Atem.
„Klar, was man so liest, aber jeder, der das Wort „schwul“ in den Mund nimmt, meint es abfällig. In der Schule beschimpfen sie dich, und mein Vater hasst alles, was auch nur entfernt schwul ist. Ich könnte es ihm nie sagen.“ Kai war von dem emotionalen Ausbruch angetan. Ein Leon, der redete, nicht in sich hineinfraß war ihm viel lieber.
„Du bist doch
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