Mecklenburger Winter
sein Leben einfach und praktisch gewesen. Laufen, Radfahren, Schwimmen, das Training im Studio und abends Internet und Trainingspläne. Am Wochenende Hamburg: Freunde besuchen oder auf die Suche nach einem One-Night begeben. Ja, es war viel einfacher gewesen. Und todlangweilig.
Wie lange Leon wohl brauchen würde? Kai sah mehrfach auf die Uhr und ärgerte sich über sich selbst. Er verhielt sich peinlich und er wusste es genau. Als es endlich klingelte, fühlte er sich um Jahre gealtert. Rasch eilte er in den Flur und öffnete.
Es schneite ganz leicht. Ein feiner, grauer Film, der sich am nächsten Tag in der Sonne auflösen würde. Leon stand vor ihm, graugrüne Augen blickten ihn verlegen an. Die Hände hatte er tief in seine Daunenjacke vergraben. Er trug eine Jeans, keine seiner feschen Reiterhose, dennoch hing der unverkennbare Geruch nach Pferd in der kalten Luft.
„Hey“, begrüßte er Kai leise und lächelte scheu. So verhielt er sich auch in der Nähe seines Vaters. Oh scheiße, aber doch nicht bei mir! Kurzfristig wallte Ärger in Kai hoch. Er war versucht, ihn am Kragen zu packen und zu schütteln, nur um diese verdammte Unsicherheit verschwinden zu sehen.
„Komm rein, ich mache mir gerade was zu essen.“ Kai wandte sich hastig ab. Hat er denn wirklich gar kein Selbstbewusstsein? Auf dem Turnier und im Studio schon. Leon konnte anders.
Stumm folgte er Kai in den Flur und schälte sich aus der Jacke. Kai ging in die Küche hinüber. Leon würde ihm schon erklären, warum er hergekommen war und es war besser, wenn sie dies in der gemütlichen Enge der Küche als im Flur taten. Der Fluchtweg war länger.
„Ich hoffe, ich störe dich nicht?“ Kai ließ seinen Ärger an dem hilflosen Gemüse aus und sah nur kurz hoch. Leon trug wieder einen dunklen Rollkragenpullover. Er hatte sich verändert, war tatsächlich in letzter Zeit ein wenig breitschultriger geworden. Zudem trug er heute die Andeutung eines Bartschattens. Verdammt sexy sah er aus, vor allem, wenn er sich die Haare aus dem Gesicht strich. Wie jetzt.
„Abends ist bei mir nie viel los“, beruhigte ihn Kai und fügte hinzu: „Weißt du doch.“ Außerdem kannst du immer zu mir kommen, fügte er in Gedanken hinzu. Wie er es hasste. Da standen sie einander nun gegenüber, wie zwei Fremde, kaum mehr als Freunde. Und noch vor wenigen Tagen hatten sie gemeinsam unter der Dusche gestanden und … Nein, Kai war nicht gut in diesen Dingen. Er war es gewohnt, die Dinge beim Namen zu nennen. Offen, ehrlich und direkt.
„Ich …“ Leon ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen. „Scheiße, das ist so … dumm. Ich wollte dich nicht nerven und es tut mir leid … wegen … neulich.“ Unruhig huschte sein Blick über Kai, der ihn äußerlich ruhig ansah, innerlich brodelte er wie das Nudelwasser. „Ich … wollte es ja, aber dann ...“ Er geriet ins Stammeln und brach ab. In seinen Augen glitzerte es, Kai war sich dieses Mal ganz sicher. Sein Herz schlug schneller. Jetzt die Hand ausstrecken und ihn berühren, nur ganz leicht, nur an der Schulter. Tröstend, freundschaftlich, nichts weiter ...
Abrupt vergrub Leon sein Gesicht in den Händen. „Dauernd komme ich bei dir an, wenn ...“ Erneut brach er ab, nuschelte zwischen seinen Händen hervor. „Es tut mir leid, Kai. Ich … vielleicht gehe ich doch besser wieder.“ Seine Stimme klang gequetscht, mühsam beherrscht und Kai trat näher heran, sein Herz schlug im Stakkatotakt. Oh scheiße nun wirklich: Leon … weint.
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass du immer zu mir kommen kannst.“ Kais Stimme klang rau und er hatte gewaltig Mühe, sich zu beherrschen. Was war geschehen, weshalb kam Leon zu ihm? Da steckte doch mehr dahinter. Er ließ sich ihm gegenüber auf den Stuhl sinken und betrachtete den jungen Mann stumm. Ja, er weinte, auch wenn er versuchte es vor ihm zu verbergen und sich hastig über das Gesicht strich, verzweifelt versuchte, die Tränen aufzuhalten.
„Scheiße, du musst mich für voll das Weichei halten“, nuschelte Leon. „Bin ich wohl auch. Wie mein Vater immer sagt …“ Heftiger quollen seine Tränen hervor und er konnte sie kaum schnell genug wegwischen. „Was ist passiert?“ Kai atmete betont langsam, versuchte ruhig zu bleiben, wenngleich er innerlich vor Anspannung schier zersprang. Jemand hatte Leon - seinem Leon - wehgetan. Das war unverzeihlich und schrie geradezu nach Vergeltung.
Leon schniefte und starrte auf den Tisch, berührte mit dem
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