Mecklenburger Winter
Abermals kochte kalte Wut in Kai hoch. Nein, er bereute kein einziges Wort an Leons Erzeuger, höchstens, dass er ihm nicht mit gleicher Währung heimgezahlt, was dieser Leon angetan hatte. Der Bluterguss würde bestimmt bald heilen, nur gingen die Wunden viel tiefer.
„Hier.“ Kai fand seine Stimme zu rau und ließ sich hastig direkt neben Leon nieder. Gar nicht erst auf Distanz gehen. Völlig normal sein. Aber was war schon normal? Die lockere Vertrautheit ihres letzten Zusammenseins war fort, vertrieben durch unbedachte Worte und seine Tatenlosigkeit. Himmel nochmal, ich hätte wissen müssen, dass Leon keinen Schritt auf mich zu gehen würde.
„Es … tut mir leid“, brachte Kai hervor, den Blick auf seine Tasse gerichtet. „Ich hätte dich anrufen müssen, genug Eier in der Hose haben müssen, um dir zu sagen, dass ich dich noch immer über alles liebe und nur ein dämlicher, ungeduldiger Idiot bin. Und ...“ Wenn, dann gleich alles auf einmal. „Es tut mir auch leid, dass ich ihm verraten habe, dass ich schwul bin.“ So, nun ist es raus. Leon schwieg. Die Lippen bebten kaum merklich, während er die Teetasse in den Händen drehte. Kai beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.
„Das ist eh egal“, murmelte Leon. „Er denkt doch ohnehin ich ...“ Verzweiflung spiegelte sich in seinen Augen wider und er wandte den Kopf. „Ich … wollte dich ja anrufen. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte und ob du wirklich ...“ Er brach ab und nippte an dem heißen Getränk. „Ach Mann, warum muss immer alles so kompliziert sein?“ Die Tasse zitterte in seinen schlanken Fingern und ein paar Tropfen liefen hinab und fielen auf seine Jeans. Er schien es nicht zu bemerken. „Warum hat er den Brief aufgemacht? Er war an mich adressiert. An mich ! Er hätte die Bilder nie zu sehen bekommen sollen“, stieß er plötzlich hervor und verschüttete weiteren Tee. „Niemand.“
Kai schluckte jede Entgegnung hinab. Alles hätte zu sehr nach: Ich habe dir gesagt, du kannst dich nicht ewig verstecken , geklungen. Besserwisserisch. Völlig unnötig Leon damit zu strafen.
„Warum regt er sich so darüber auf? Es sind nur ein paar Fotos, Mann. Völlig harmlos. Ich war ja gar nicht wirklich nackt und sie sind doch keine Wichsvorlagen. Das ist kompletter Blödsinn.“ Ärgerlich schnaubte Leon. „Warum dreht er deswegen so ab?“ Für wen die Fotos durchaus Wichsvorlage waren, behielt Kai lieber für sich.
„Dein ...“, das Wort wollte ihm kaum über die Lippen kommen, klebte wie zäher, bitterer Kaugummi am Gaumen fest, „...Vater hat wohl ein Problem mit dir.“ Erneut schnaubte Leon wütend. „Was sollte er für ein Problem haben? Ich mache immer alles, was er will. Ich habe auch das Dressurreiten sein lassen, weil er es dumm fand und meinte, nur Mädchen machen das. Immer versuche ich mein Bestes zu geben und Schleifen für ihn und den Hof zu holen und nie ist er wirklich zufrieden. Er verkauft meine Bella, die ich erfolgreich gemacht habe, ohne mich zu fragen und sagt, ich solle mich nicht so anstellen. Was mache ich denn nicht so, wie er es will? Und dennoch hat er dauernd was an mir rumzumeckern.“
Leon stellte die Tasse ab und strich sich durch die zerzausten Haare. Feuchtigkeit schimmerte in seinen Augen. Das Funkeln schoss wie kalte Blitze in Kais Eingeweide, dessen Finger sich fest um seine Tasse klammerten. Er musste so an sich halten, Leon nicht in die Arme zu nehmen, jede Wunde, jede kleine Verletzung, die dessen Vater ihm beigebracht hatte, durch seine Gegenwart, seine unendlich große Liebe zu heilen.
„Ich glaube, seine Probleme liegen ganz woanders“, begann Kai vorsichtig. Wie sollte er das Thema diplomatisch vorbringen, seinen Verdacht so äußern, dass Leon nicht im Gegenzug ihn ganz ausschloss? „Die meisten Männer, die mit uns Schwulen Schwierigkeiten haben ...“ Kai leckte sich nervös über die Lippen. Sein Herz sabotierte den Versuch, ruhig und sicher zu erscheinen, mit schnellen Schlägen, die seinen Körper durchdrangen. „Nun, die ...“ In seinem Hals saß ein fester Kloß und weigerte sich hartnäckig, beiseite zu gehen. „Einige haben ...“
Verdammt, ist das schwer zu sagen. Immerhin redete er hier nicht von irgendeinem homophoben Arschloch. Dieses Arschloch war leider Gottes Leons Vater. Zumindest biologisch gesehen. Über den Rest ließe sich vermutlich streiten.
„Homophobie beruht oft auf … eigener Verwirrung … also sexueller“, stotterte Kai schulmeisterlich
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