Mecklenburger Winter
Flugphase.
Leon stoppte plötzlich vor einem weiteren Bild und Kai konnte nicht umhin, sich grinsend in die Wange zu beißen. Zum Glück konnte Leon es nicht sehen, denn er stand halb hinter ihm. Kais Blick wanderte zwischen Leons verführerischem Nacken und dem Bild hin und her. Das Bild zeigte einen Mann beim Laufen. Völlig nackt, auf einer unendlich erscheinenden, von Bäumen gesäumten Landstraße, die sich wie ein Band aus Asphalt von hinten nach vorne durch das Bild zog. Die Bäume filterten das Sonnenlicht durch das Blätterdach auf wenige Punkte, die sich in unregelmäßigen Flecken auf der Straße und dem nackten Körper abzeichneten. Es wirkte natürlich, vertraut und zugleich, als ob es in einer anderen Welt, die nur aus Licht und Schatten bestand, aufgenommen worden wäre.
Der Mann auf dem Bild war Kai.
Es sandte wohlige Schauder durch Kais Körper, dass Leon das Bild so genau und lange betrachtete. Natürlich war es ohne Bedeutung, aber er fühlte sich gut dabei, dass Leon seinem Körper besondere Aufmerksamkeit schenkte. Zumindest dem auf dem Foto.
„Habt ihr dabei nicht für Aufsehen gesorgt?“, erkundigte sich Leon nach einer gefühlten Unendlichkeit, in der Kais Herz immer stärker wummerte. „Ich meine, so ohne alles auf der Straße herumzulaufen ...“ Kai musste sich vom Bild und Leons Rückenansicht losreißen, seine Gedanken waren ganz woanders. Er trat neben diesen, dichter als zuvor. Ihre Schultern berührten sich beinahe. „Es war später Nachmittag im einsamen Mecklenburg. Da war nicht so viel los“, bemerkte er, erinnerte sich an den sommerlichen Tag letztes Jahr zurück. Das war lange vor diesem elendigen Winter gewesen. So lange her, dass er das warme Gefühl von Sonnenstrahlen auf der Haut gespürt hatte. Er vermisste es.
„Toll. Echt wunderschön“, meinte Leon ehrfürchtig. „Die sind wirklich klasse geworden.“
„Kein Wunder, bei dem Model.“ Kai grinste und warf Leon einen verschmitzten Blick zu. „Na, die anderen sind ja auch toll“, beeilte sich dieser zu sagen. Ein Hauch von Rosa lag noch immer auf seinen Zügen. „Dein Freund kann das echt prima einfangen.“
„Der hat auf jeden Fall ein Auge dafür und ist ein toller Kumpel“, bestätigte Kai ihm. „Er ist gerade in Australien. Davon profitiere ich auch, denn er hat mir sein Auto für den restlichen Winter geliehen.“ Leon wandte sich ihm zu. Kai stand noch immer sehr dicht neben ihm. Sein Blick fiel auf die vollen Lippen und es dauerte einen Moment, bis er seinen Blick zu Leons Augen heben konnte. Verdammt, wieso muss ich bei ihm immerzu daran denken, wie schön es wäre, ihn mal zu berühren?
„Heißt, du fährst jetzt lieber mit dem Auto, als dich mit dem Fahrrad kopfüber in neue Schneewehen zu stürzen?“, feixte Leon. „Einmal reicht mir“, pflichtete Kai ihm seufzend bei. „Aber sollte mir das nochmal passieren, wünsche ich mir als Retter einen feschen Homo, dem ich dann meinen innigsten Dank entsprechend ausdrücken kann. Zum Beispiel im Bett.“ Verdammt. Kaum waren die Worte heraus, biss sich Kai auf die Zunge und verfluchte sich. Er hatte das eigentlich gar nicht sagen wollen. Nein, eigentlich hatte er gerade mal wieder nicht wirklich nachgedacht, denn Leons Nähe ließ sein Blut gerne in andere Bereiche fließen. Leon sagte nichts, schaute ihn mit einem beinahe betroffen wirkenden Ausdruck an, lächelte aber sofort wieder.
„Vielleicht hast du beim nächsten Mal wirklich mehr Glück“, kommentierte er und trat an den Tisch. Er setzte sich und zog sich eine Tasse heran. Kai schloss kurz unbemerkt die Augen, schalt sich selbst einen Vollidioten und nahm ihm gegenüber Platz. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf“, fügte er hinzu. „Aber deine nette Gesellschaft fehlt mir. Auch wenn ich keine Chancen habe.“ Er versuchte sich in ein Lachen zu retten, erntete auch tatsächlich ein feines Lächeln von Leon. Rasch schob er ihm den Teller hin. „Magst du Franzbrötchen?“ Leon beäugte die Gebäckstücke neugierig. „Kennst du die nicht?“ Leon schüttelte den Kopf und leckte sich über die Lippen. „Nein, aber sie sehen lecker aus.“
Kai seufzte innerlich. Franzbrötchen waren eine regionale Hamburger Spezialität. Bis vor Kurzem hatte er sie sich immer von dort mitbringen lassen, denn hier waren sie gänzlich unbekannt. Ebenso wie Croissants. Seit zwei Monaten gab es endlich die Filiale eines Hamburger Bäckers, der seine geliebten Franzbrötchen führte. Zu viel durfte er
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