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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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Burghardt und seine Frau überhaupt jemals vor, Leon die Wahrheit zu sagen? Was, wenn er nichts sagte und darauf hoffte und Leon später womöglich herausfand, dass er davon gewusst hatte? Was, wenn er es ihm jetzt sagen würde? Nein, das ist zu viel, es wird Leon völlig aus der gerade vorsichtig eingeschlagenen Bahn werfen. Wie geht man mit dem Wissen um, dass der eigene Vater einen nur aus Vergeltungssucht und unerfüllter Liebe gezeugt hatte und mithin ein ziemliches Arschloch ist? Oder eher gewesen ist.  
    Kai versuchte es sich erfolglos vorzustellen. Aber er war definitiv nicht Leon und sein Vater nur ein etwas engstirniger, norddeutscher Verwaltungsbeamter mit völlig überkommenen Moralvorstellungen gewesen. Wenn er denn dein Vater ist. Wer weiß? Vielleicht stammst du ja auch von einem vagabundierenden Ziegenhirten, der sich in ihn verliebt hat und deswegen deine Mutter verführt hat, um eigentlich ihn zu treffen? Warte es ab, eines Tages machst du einen Lauf auf Kreta und ein zahnloser alter Mann mit Krückstock kommt aus seinem Steinhäuschen gehumpelt und verkündet mit dumpfer, unheilvoller Stimme: „Kai, ich bin dein Vater.“ In seinem Kopf gellte: Nein!  
    Seufzend rollte er sich auf den Bauch und presste die Lider zusammen. Du bist übermüdet. Die Gedanken verwirrten sich, kamen jedoch nicht zur Ruhe. Sein Magen fühlte sich viel zu voll an, weil er Leons energischer Forderung nachgekommen war und eine ganze Portion Nudeln gegessen hatte. Definitiv hatte er sich schon mal besser gefühlt.
    Leon murmelte im Schlaf und bewegte sich ein wenig. Kai legte sich auf die Seite, stützte seinen Kopf ab und beobachtete ihn mit zärtlichen Gefühlen. Keinen einzigen Ton hatte er darüber verloren, dass er bei Leons erstem Mal als passiver Part völlig versagt hatte. Reicht ja auch, dass du dich dafür in Grund und Boden schämst. Ob ich mir von ihm schriftlich geben lassen sollte, dass er diesen Fauxpas niemals jemand anderem gegenüber erwähnen darf? Auch nicht an unserem dreißigsten Hochzeitstag?
    Kai war versucht, Leon eine Strähne zurückzustreichen und einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. Er war unglaublich schön. Der schönste, der beste, der fantastischste Mann der Welt. Und seiner. Ganz und gar. Das Schicksal hatte einen verdammt guten Tag gehabt, als es dem Wind befahl, ihn in die Schneewehe zu drücken und ihm zugleich seinen Retter schickte. Mein Prinz auf dem weißen Pferd, dachte Kai grinsend.
    Seine Gefühle drohten ihn zu überwältigen. Welchen weiten Weg hatten sie beide schon hinter sich, bis zu diesem Etappenziel? Ein harter Winter, ein zögerlicher Frühling, und es wurde endlich Zeit für den Sommer. Einen wirklich, wirklich heißen Sommer. Lächelnd rutschte er noch näher heran und sog Leons Duft ein. Entfernt roch es noch nach Sex, den sie nun doch nicht gehabt hatten. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Er ist bereit, sich mir hinzugeben, Leon steht nun ganz und gar dazu, schwul zu sein und einen Mann zu lieben und zu begehren.  
    Morgen würde er sich frei nehmen und nur faulenzen. Ungeduldig Leons Rückkehr aus der Schule entgegenfiebern und abends mit ihm auf dem Sofa kuscheln. Das klang nach einem grandiosen Tagesplan. Wenn nur endlich diese blöde Nacht vorbeigehen würde …  
    Es war Leons Wecker, der Kai weckte. Benommen blinzelte er und hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Er fühlte sich noch immer schlapp und in seinem Kopf pochte gehässiger Schmerz. Böse Anzeichen einer Erkältung oder gar Grippe? Es würde seine dämliche Schlappe gestern erklären.
    „Bleib noch liegen, ich mache eben Frühstück“, raunte Leon ihm zu und gab Kai einen Kuss, der diesen wohlig brummelnd wieder die Augen schließen ließ. Hach ja, daran könnte ich mich echt gewöhnen. Viel zu wenige Minuten danach, küsste ihn abermals jemand zurück in die Realität.
    „Willst du lieber weiterschlafen? Frühstück ist fertig und ich muss in zwanzig Minuten los“, erkundigte sich Leon, musterte ihn mit latenter Besorgnis. Gähnend richtete sich Kai auf und stand auf. „Nein, ich komme schon.“ Seine Beine fühlten sich schwer an und das Pochen hinter der Stirn war kaum zu ignorieren. Wenn Leon weg war, würde er lange duschen und danach wieder ins Bett kriechen. Und ich muss Angie anrufen.  
    Leon blätterte mit missmutigem Ausdruck in seinem Mathebuch, als Kai sich zu ihm setzte und sich einen Kaffee einschenkte.
    „Wir schreiben gleich einen Test“, schimpfte er.

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