Medaillon des Schicksals (German Edition)
ich mir ein Leben lang gewünscht habe. Doch mein Zuhause ist die Wagenkolonne. Hier ist kein Platz für mich. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt.«
Dann machte sie sich schweren Herzens von Daria los, drehte sich um und ging, umrahmt von den beiden Wachleuten, durch das Tor, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Sie hörte auch nicht mehr, wie Daria die Florentinerin fragte: »Habt Ihr jetzt bekommen, was Ihr wolltet?«
Und auch nicht die Antwort der schönen Isabella:
»Noch nicht alles.«
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21. Kapitel
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Rosaria lief über die staubige Straße. Ihr Kleid war versengt, das Gesicht noch immer von Ruß geschwärzt, die Haare hingen ihr wie Stroh über die Schultern.
Sie fühlte sich müde, unsagbar müde, und schmutzig.
Und sie hatte Heimweh, großes Heimweh. Wie gern wäre sie schon bei der Wagenkolonne, ihrem Zuhause angelangt. Wie gern würde sie der Feuerschluckerfrau beim Kochen helfen, wie gern mit Ambra spazieren gehen, wie gern mit dem jüngsten Kind des Ältesten herumtollen.
Und wie gerne stünde sie endlich wieder auf einem Marktplatz und verkaufte Olivenöl, redete sie mit den Kundinnen, empföhle Heilsalben und Tränke. Ihr gewohntes Leben fehlte ihr so sehr, und Rosaria beschloss, sich niemals wieder von ihrer Kolonne und den Oliven zu trennen.
Ja, dachte sie, ich bin zwar die Tochter einer Contessa und weiß nicht, wer mein leiblicher Vater ist, doch meine Familie war immer die Kolonne und wird sie auch bleiben. Und Vater und Mutter waren mir Paola und Estardo, und auch daran wird sich nichts ändern. Nichts und niemand kann meine Liebe zu ihnen und meine Dankbarkeit für sie schmälern. Ich bin die Tochter von Olivenhändlern, bin es mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele.
Nur Giacomo, ihr Bruder, machte ihr das Herz schwer. Sie liebte ihn. Oh, wie sehr sie ihn liebte! Niemals zuvor hatte sie für einen Menschen Ahnliches empfunden. Doch er war ihr Bruder, war das Kind der Contessa, genau wie sie. Sie durfte ihn nicht lieben, nicht auf die Weise, wie sie es tat. Tränen rannen über ihre Wangen, heiße Tränen des Verzichts. Die Brust schmerzte ihr, das Herz trommelte gegen die Rippenbögen, als wollte es sich wehren gegen das, was Rosaria da beschloss.
Eigenartig, dachte Rosaria. Raffael habe ich geliebt wie einen Bruder und hätte ihn doch lieben sollen, wie eine Frau einen Mann liebt. Giacomo aber, den ich liebe, wie eine Frau nur einen Mann lieben kann, ist mein Bruder. Welche eigenartigen Wege nimmt das Schicksal nur?
Doch den eigenen Bruder so zu lieben, wie ich es tue, das ist Sünde. Ich muss mir diese Liebe aus dem Herzen reißen. So weh es auch tun mag. Einmal noch würde ich Giacomo gern wiedersehen. Nur ein einziges Mal noch mich an seinem Gesicht, seiner Gestalt erfreuen. Und ein einziges Mal noch seine warmen, weichen Lippen auf meinem Mund spüren. Dann, ich schwöre es, werde ich Giacomo vergessen und in mein altes Leben zurückkehren. In die Kolonne, auf die Marktplätze der Toskana, da gehöre ich hin. Die Leute aus der Kolonne sind meine Familie. Eine Familie, die ich immer geliebt habe und die mir mehr wert ist als alles Gold dieser Welt.
Bei dem Gedanken an ihr Zuhause wurde ihr warm ums Herz, und zum ersten Mal seit vielen Tagen spürte sie, wie eine angenehme Ruhe sie überkam.
Rosaria lief weiter und erfreute sich an der herrlichen Natur und Landschaft. Sie sah den Vögeln nach, die die laue Sommerluft mit ihren lieblichen Gesängen erfüllten, sie begrüßte mit einem Nicken des Kopfes die Olivenhaine, lächelte den Weinbergen zu und erfrischte den Leib und die Seele bei einem kühlen Bad im Bach.
Am Abend kam sie zu einer Herberge, die dicht an der Straße stand, die von Florenz nach Sienna führte.
Rosaria hatte kein Geld bei sich. Sie war von der Burg di Algari aufgebrochen mit nichts als den Kleidern, die sie am Leibe trug. Keinen einzigen Scudi hatte sie in der Tasche, und doch klopfte sie an die Herbergstür.
»Gott zum Gruße, Schankwirt und Herbergsvater. Ich bin Rosaria, eine Olivenhändlerin, und suche meine Wagenkolonne, die aus Lucca stammt.«
»Gott zum Gruße, Olivenhändlerin«, erwiderte der Wirt und betrachtete sie von oben bis unten. »Seid Ihr Wegelagerern in die Hände gefallen? Ihr seht mitgenommen aus.«
Rosaria nickte.
»Ich weiß«, sagte sie. »Und ich schäme mich für meinen Aufzug. Auch habe ich kein Geld und bitte Euch trotzdem um einen Kanten Brot, einen Schluck Wasser und einen Platz in der Scheune.«
Der Wirt
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