Medaillon des Schicksals (German Edition)
ertragen.
Aber in Wirklichkeit war es so, dass er nicht ertragen konnte, die Frau, die ihm anvertraut war und um die er sich viele Jahre lang so schlecht gekümmert hatte, brennen zu sehen. Mit ihr geht auch ein Teil meines Lebens zu Ende, dachte der Conte und spürte nun zum zweiten Mal an diesem Tag, dass er alt wurde.
Er wünschte sich Ruhe und Frieden. Er war es müde, zu Fehdekämpfen aufzubrechen, war es auch müde, mit jungen Mägden im Heu zu liegen.
Doch was sollte er auf der Burg, so allein? Giacomo war nicht da, Daria würde schon sehr bald sein Haus verlassen, die Contessa tot sein. Und er, Giovanni di Algari, würde allein und verlassen hier auf seinen Tod warten.
Der Conte lief im Zimmer umher. Solche Gedanken waren ihm bisher noch nicht oft gekommen. Und wenn, dann hatte er sie erfolgreich beiseite gedrängt. Jetzt gab er vor sich selbst in seiner stillen Kammer zu, dass er immer daran geglaubt hatte, im Alter eine Burg voller Enkelkinder zu haben, die herumtollten. Eine Frau, die stickte, und eine Schwiegertochter, die mit ihrer Fröhlichkeit die Burg erhellte.
Er mochte diese Gedanken nicht und wäre auch diesmal gern vor ihnen geflohen. Doch es gelang ihm nicht.
Wenn Isabella und Giacomo doch heiraten, dann bin ich nicht allein hier, dachte er. Aber zuvor muss ich Giacomo finden und zur Rückkehr bewegen.
Der Conte straffte die Schultern und rief mit kräftiger Stimme nach einem Bediensteten.
»Zwei Reiter sollen nach Giacomo suchen«, befahl er.
Der Knecht nickte und wollte den Raum verlassen, doch der Conte hielt ihn zurück.
Mit leiser und seltsam weicher Stimme befahl er weiter: »Lass der Contessa ein gutes Mahl in das Verlies bringen. Und schau, dass es nicht an Mandelgebäck fehlt. Ich glaube, das isst sie gern.«
Der Knecht sah seinen Herrn an, dann lächelte er leicht und erwiderte: »Danke, Herr. Eure Tochter hat bereits für alles gesorgt. Und die Köchin ist gerade dabei, frische Mandelplätzchen zu backen.«
Jetzt lächelte auch der Conte, doch es war das schmerzliche Lächeln desjenigen, der begriff, was er lange Jahre versäumt hatte und was nicht wieder gutzumachen war.
»Sie soll ein bisschen gute Butter extra hineintun«, sagte er und ahnte wohl schon dunkel, dass die Ereignisse auf der Burg auch ihn verändert hatten.
Unterdessen fand im Burghof ein heftiger Streit statt. »Der Bastard soll verschwinden. Der Conte hat es so angeordnet. Wollt Ihr Euch etwa den Anweisungen Eures Vaters widersetzen?«, keifte Isabella Panzacchi mit so schriller Stimme, dass die Vögel kreischend das Weite suchten.
»Sie ist meine Schwester«, entgegnete Daria in gleicher Lautstärke. »Sie ist die Schwester, die ich mir immer gewünscht habe. Ich lasse nicht zu, dass sie geht.«
»Schwester, pah! Schöne Schwester, die wer weiß wen zum Vater hat. Ein Bastard ist sie, eine Missgeburt.«
»Passt auf, was Ihr sagt, Isabella. Wer meine Schwester beleidigt, beleidigt mich.«
Rosaria stand währenddessen daneben. Sie hatte alles um sich herum vergessen und dachte unentwegt daran, dass die Contessa ihre Mutter und Giacomo und Daria ihre Geschwister waren. Sie dachte auch daran, dass ihre Mutter ihr Leben für das Leben der Tochter eintauschen wollte und sich das Orakel erneut bestätigt hatte. Wie gern würde sie Donatella di Algari helfen. Nur wie?
Sie hörte die beiden Frauen streiten, als ob es im Augenblick nichts Wichtigeres gäbe.
»Unsere Mutter wird sterben«, sagte sie sehr leise, doch der Ton ihrer Stimme bewirkte, dass Daria und Isabella sofort innehielten und sie ansahen.
»Die Contessa wird sterben«, wiederholte sie. »Und wir stehen hier und streiten. Wir sollten überlegen, was wir tun können.«
»Du hast Recht«, antwortete Daria und zog Rosaria in ihre Arme.
»Ihr könnt ihr nicht helfen. Sie bekommt, was sie verdient«, stellte Isabella mitleidlos fest. »Und wenn der Bastard endlich verschwindet, wie es der Conte angeordnet hat, dann kann auf der Burg wieder Ruhe einkehren.«
In diesem Augenblick kamen zwei Wachleute des Conte, fassten Rosaria grob bei den Armen, und einer sagte: »Verlasst auf der Stelle die Burg. Wenn Ihr nicht freiwillig geht, so wird Euch der Conte durch uns vor das Tor setzen lassen.«
Rosaria nickte. »Ich gehe freiwillig«, sagte sie.
»Aber ...«, setzte Daria an und verstummte, als Rosaria sie in den Arm nahm.
»Du bist zwar meine Schwester«, flüsterte Rosaria mit Tränen in den Augen. »Bist auch für mich die Schwester, die
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