Medea. Stimmen
überfällt mich das Bild wieder, das ich all die Jahre unter der Oberfläche gehalten habe. Das grausamste und unwiderstehlichste Bild, das ich von ihr habe. Medea als Opferpriesterin vor dem Altar einer uralten Göttin ihres Volkes, in ein Stierfell gehüllt, eine aus Stierhoden gefertigte phrygische Mütze auf dem Kopf, Zeichen der Priesterin, die das Recht hat, Schlachtopfer zu vollziehen. Und das tat Medea. Sie schwang am Altar das Messer über den geschmückten Jungstier und schlitzte ihm die Halsschlagader auf, daß er in die Knie brach und verblutete. Die Weiber aber fingen das Blut auf und tranken davon, und Medea als erste, und mir schauderte vor ihr, und ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, und ich bin sicher, sie wollte, daß ich sie so sah, schrecklich und schön, ich begehrte sie, wie ich noch nie eine Frau begehrt hatte, ich hatte nicht gewußt, daß es dieses Begehren gibt, das dich zerreißt, und ich floh, als die Weiber im Blutrausch zu stampfen anfingen und gräßlich zu tanzen, und ich wußte, ohne diese Frau konnte ich nicht mehr weg. Ich mußte sie haben.
Ich tat alles, was sie mir befahl. Ich ließ mir, um die Stiere zu besiegen, diese entsetzliche Mütze überstülpen, sie enthalte einen Zauber und mache mich unsichtbar, ich ließ mich von ihrer wilden Trommelmusik antreiben, die mir in die Glieder fuhr und mich toll machte, ich kannte mich nicht mehr, ich fuhr unter die Stiere und schlachtete sie ab, ich war außer mir und wollte außer mir sein. Ich täuschte den König und trank ihm zum Abschied zu, ehe er und seine Wächter in Schlaf sanken. Ich ließ mich von Kopf bis Fuß mit ihrer Salbe bestreichen, das sei ein Schutz gegen das Schlangengift. Ich hätte ihr alles geglaubt. Was dann mit mir geschah, weiß ich nicht. Es war grauenhaft, das weiß ich sicher. Mein Bewußtsein verließ mich.
Als ich aufwachte, war ich elend und sterbenskrank, und sie hockte neben mir, Medea, es war Nacht, um uns Wald, sie rührte in einem Kessel, der auf drei Beinen über einer Feuerstelle stand, das flackernde Licht ließ sie uralt erscheinen. Ich konnte nicht sprechen. Ich war im Rachen des Todes gewesen, sein Atem hatte mich gestreift, ein Teil von mir war noch in dieser anderen Welt, vor der wir uns mit Recht fürchten. Ohne sie, ohne Medea, wäre ich zugrunde gegangen. Ich muß etwas gestammelt haben wie: Hol mich da raus, Medea, und sie sagte nur: Ja, ja. Sie schöpfte eine Kelle von dem Sud, den sie zusammengebraut hatte, und hieß mich trinken. Es schmeckte widerwärtig und rann mir glühend durch die Adern. Medea legte ihre Hand lange auf meine Brust und erzeugte damit einen Wirbel in mir, der mir das Leben zurückgab. Es ist das Wundersamste, was ich je erlebt habe, dies sollte nie aufhören. Irgendwann murmelte ich, du bist eine Zauberin,Medea, und sie, unverwundert, sagte einfach: Ja. Verjüngt und kraftvoll erhob ich mich von diesem Lager. Ich hatte kein Gefühl für die Zeit, die vergangen war. Seit dieser Stunde verstand ich die Ehrfurcht und das Ansehen, die Medea unter ihren Kolchern genoß.
Und den Akamas versteh ich auch, und die Leute von Korinth, daß sie sie loswerden wollen. Loswerden? Woher kommt mir dieses böse Wort, ein Unsinn, ich muß ihn vergessen. Vorhin, als Akamas mit seiner spitzfindigen Beobachtungsgabe mir ansah, wie ich zwischen meiner Anhänglichkeit an Medea und meiner Pflicht, auch Lust, dem König Kreon zu Diensten zu sein, hin und her geworfen wurde, und als er mir dann den niederträchtigen Rat gab, doch einfach mal zu meinen Argonauten in die Kneipen oder zu einer dieser Huren zu gehen, um mich zu entspannen, da wäre ich ihm vor Wut fast an die Kehle gegangen, mitten auf dem Marktplatz von Korinth. Und er? Was sagte er? Auch gut, sagte er ungerührt. Tob dich aus, Jason. Ich drehte mich um und ließ ihn stehen. Da läuft etwas schief, ganz schief, und ich kann es nicht aufhalten.
Wenn sie nicht so hochmütig wäre. Schließlich war sie die Flüchtige, angewiesen auf mich. Und als mein Plan, mit Hilfe des Goldenen Vließes die Königswürde in meiner Heimat Jolkos meinem Vater wieder zuzuschanzen, gescheitert war; als auch ich fliehen mußte, da waren wir alle angewiesen auf die Gnade des Königs Kreon. Das habe ich ihr immer wieder sagen müssen. Und sie? Ich bin nicht von Kolchis weg, um mich hier zu ducken, solche Reden führt sie und bindet ihren wilden Haarbusch nicht ein, wie die Frauen von Korinth es nach der Hochzeit tun, und sagt noch: Na und?
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