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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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findestdu mich nicht schöner so? Die Unverschämte. Weiß ganz genau, was ich schön, wen ich am schönsten finde. Und läuft durch die Straßen wie ein Ungewitter und schreit, wenn sie zornig ist, und lacht laut, wenn sie froh ist. Jetzt merke ich, ich habe sie lange nicht mehr lachen hören. Aber eines hat sie sich nicht nehmen lassen, mit ihrem Holzkästchen und der weißen Binde um die Stirn durch die Stadt zu laufen, zum Zeichen, daß sie als Heilerin unterwegs war und in ihrer Sammlung nicht gestört werden wollte, und jedermann hat sie respektiert, und die Familien, in denen sie einem Kranken geholfen hat, verbreiteten ihr Lob. Es wurde Mode in Korinth, sich an sie zu wenden und nicht an die Astrologen oder an die Ärzte aus der Schule des Akamas. Diese Unglückselige wurde so übermütig, daß sie einem Beamten des Königs gegenüber, dessen Sohn sie von unerträglichen Kopfschmerzen befreit hatte, die Heilkunst dieser würdigen Männer bündig »faulen Zauber« nannte – ein Wort, das dieser Mann pflichtschuldigst im Palast verbreitete. Danach hatten wir unseren ersten heftigen Streit. Paß auf, was du sagst! schrie ich sie an, und sie, mit dieser aufreizenden Ruhe, erwiderte, das habe sie gerade mir empfehlen wollen; ich sagte: Die sind dir über, und sie: Das werden wir sehen. Hör mal, sagte sie noch, du hast es selber schon mal besser gewußt. Was hat dich denn dein Cheiron gelehrt? Diese albernen Kunststücke, mit denen sie die Leute übers Ohr hauen? Es war merkwürdig. Was Cheiron mich gelehrt hatte, die gute Heilkunst, die Medea ausübt, ich begann, sie zu vergessen. Sie nützt mir hier nichts. Hier muß ich Bescheid wissen über die Vorgänge im Palast, das ist lebenswichtig für uns, sie will es nicht begreifen.
    Natürlich waren sie ihr über. Sie mußte unsere gemeinsame Wohnung in einem Nebenflügel des Palasts räumen. Das richte sich nicht gegen mich, erklärte man mir. Aber jemanden, der womöglich eine krank machende Ausstrahlung habe, solle man doch wohl aus der Nähe der königlichen Familie entfernen. Wenn sie heuchelten und logen und falsche Gründe vorschoben, nur um sie aus dem Palast zu kriegen, dann mußte es ihnen ernst sein. Natürlich wartete sie darauf, daß ich sie verteidigte. Oder daß ich mit ihr ging. Aber wie kann man jemanden gegen vorgeschobene Beschuldigungen verteidigen. Und wäre ich mit ihr gegangen, hätte ich unsere Lage doch nur verschlimmert.
    Sie ging. Man gab ihr zwei von den Leuten des Akamas zur Seite, die verhindern sollten, daß sie den Palast verfluchte. Als ich Akamas daraufhin zur Rede stellte, brach er in schallendes Gelächter aus. O diese schlichten Gemüter, rief er, aufs höchste amüsiert. Als ob eine Medea nicht ohne Worte und an jedem Wächter vorbei verfluchen könnte, was und wen sie wolle.
    Ich besuchte Medea in ihrer Lehmhütte zuerst regelmäßig. Gewiß, es war nicht mehr dasselbe zwischen uns, aber das ist normal, das sehe ich überall ringsum. Kreon zog mich näher an sich heran, alle möglichen Pflichten und Dienste wurden mir auferlegt, darunter glanzvolle, die die Person erhöhen. Das Vließ liegt unter vielen anderen Opfergaben am Altar des Zeus und vermodert. Meine Aussichten in Korinth sind nicht schlecht, ich mache mir da meine eigenen Gedanken. Akamas machte eine Andeutung. Alles könnte ganz gut laufen, wenn sie nicht diese alte Sache ausgegraben hätten. Medea habe ihren Bruder getötet. Na und wenn?Wem schadet das heute noch. Aber es scheint vielen zu nützen, allzu vielen, ich kann es mir nicht verhehlen.
    Was soll ich bloß tun. Nur sie, Medea, könnte mir raten. Verrückter Gedanke.

3
    Kreon: Und sind Frauen auch nicht zum Guten geschickt,
sind sie doch Meisterinnen des Bösen.
    Euripides, ›Medea‹
    Agameda
    Ich habe es geschafft. Ich habe sie blaß werden sehen. Die richtigen Worte kamen mir unverhofft, aber so viele Monate hat mein Haß an ihnen gearbeitet, im richtigen Augenblick waren sie fertig. Medea erbleichte. Ich habe sie die Hände heben sehen, als wolle sie mich anflehen. Natürlich tat sie es nicht, sie suchte sich zu fassen. Sie hätte sich ein Hohngelächter eingehandelt. Oder doch nicht? Hätte ich sie durch Großmut noch tiefer beschämt?
    Manchmal hängt es an einem Faden, wie eine Sache weitergeht. Wie damals, vor langer Zeit, als sie mich verriet, ja verriet, ob sie das noch wissen will oder nicht, diese Gedächtnislücken, die sie sich erlaubt. Oder vor kurzem, als sie krank wurde. Als hätte sie

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