Medea. Stimmen
geahnt, daß das Verhängnis näherrückte. Gerne wäre ich die erste gewesen, es ihr anzukündigen. Gern, zu gern hätte ich ihr zugesehen, wie sie die Nachricht aufnahm, und mich an ihrem Schrecken geweidet. Ich wurde wütend, als ich merkte, wie hoch ihr Fieber war. Wie sie sich durch ihre Krankheit einfach entzog. Im gleichen Atemzug begriff ich, daß sie Hilfe brauchte, Medea, die große Heilerin, lag da, rat- und hilflos, mein Herz machte einen Sprung, endlich würde mein innigster Wunsch wahr werden, der meine Kindheit bestimmt hat, ich, ich würde ihre Helferin sein, würde an ihrem Lager verharren, sie pflegen, ihr dienen, mich unentbehrlich machen, und endlich würde ich empfangen, wonach mich noch immer so gräßlich verlangte, ihre Dankbarkeit. Ihre Liebe. Ich verachtete mich dafür, aber derAugenblick war gekommen, der meine Tag- und Nachtträume beherrscht hatte. Sie brauchte mich. Ich würde sie retten. Ewige Dankbarkeit würde sie an mich binden, als die vor allen anderen Bevorzugte würde ich nun in ihrem Dunstkreis leben. Da war sie wieder, diese Benebelung, die mich in Medeas Nähe überkommt, überkam, zum letzten Mal, davor bin ich jetzt sicher. Sicher vor ihren verfluchten Künsten und vor ihrer berüchtigten Ausstrahlung, das schleuderte ich Lyssa entgegen, die hereingefegt kam und mich von Medeas Bett scheuchte mit Gebärden des Abscheus, die ich ihr nicht vergessen werde, als sei ich es gewesen, die Medea diese Krankheit an den Hals gewünscht hatte.
Ich. Agameda. Die einst ihre begabteste Schülerin gewesen ist, das hat sie mir selbst gesagt. Du wirst eine gute Heilerin, Agameda. Setzte aber, wie immer, meiner hochschießenden Freude gleich einen Dämpfer auf: Wenn du es lernst, dich zurückzunehmen. Ich heile nicht, hat sie gesagt, und du auch nicht, Agameda, etwas heilt mit unserer Hilfe. Was wir tun können, ist, dafür zu sorgen, daß dieses Etwas sich frei entfalten kann, in uns und im Kranken. Nun ja. Die meisten ihrer Praktiken, die Zusammensetzung und Herstellungsweise der verschiedenen Sude, die Wirkungsweise der Kräuter, viele ihrer Zaubersprüche habe ich ihr abgesehen und abgelauscht. Ich bin eine Heilerin geworden. Manche Leute kommen lieber zu mir als zu ihr, vor der sie Scheu haben. Gerade vornehme Korinther Familien riefen von Anfang an mich in ihre wohleingerichteten Häuser und hörten es gerne, wenn ich sie ehrlichen Herzens bestaunte und ihnen von den primitiven Behausungen erzählte, in denen die meisten Leute in Kolchis lebten.Daß sogar der Königspalast aus Holz sein soll, das konnten sie nicht glauben, und sie bedauerten mich und bezahlten mich um so besser, je mehr sie mich bedauerten und ihre eigene Art zu leben um so höher schätzen konnten, schnell kam ich dahinter, schnell hatte ich die Kleider, die ich mir wünschte, und die Speisen, an die ich mich gewöhnte wie an die schweren süßen Weine, die man hier trinkt. Presbon, der schon lange Triumphe feiert mit den Festspielen, die er den Korinthern ausrichtet, Presbon hat mich seinen Freunden empfohlen. Und jetzt, da Medeas Stern im Sinken ist, da ich im Palast Mode werde, wie Presbon sagt, jetzt finde ich manchmal, wenn ich von einem Kranken komme, in meiner Tasche ein Schmuckstück. Einen Ring, ein Halsband. Ich trage sie noch nicht, Presbon hat mir davon abgeraten. Man muß den Neid der anderen nicht herausfordern. Er, Presbon, beneidet mich nicht, ich bin keine Rivalin für ihn, es kann ihm nur recht sein, wenn er nicht der einzige Kolcher bleibt, der in Korinth zu Ehren kommt. Früher hat er mich keines Blickes gewürdigt, ich gehörte nicht zu der Art Frauen, die ihn reizen, die müssen schön sein und ihm blind ergeben, beides, das weiß ich, bin ich nicht. Aber nun blickt er mich an, mit einer Art Erstaunen, scheint mir, das an die Stelle des Begehrens treten kann. Das zum Begehren werden kann. Wenn ich irgend etwas über die Merkwürdigkeit des männlichen Begehrens weiß, ist es das, und nicht oft genug kann ich es erproben.
Natürlich geiferte diese Lyssa mich an, nannte Presbon und mich niederträchtig, fehlte nur, daß sie uns geradewegs Verräter geschimpft hätte, wie sie es untereinander sicherlich tun, wenn sie zusammenhocken, dieseälter gewordenen Kolcher. Wenn sie auf dem Platz in ihrem Viertel, in dem sie sich ein Klein-Kolchis eingerichtet haben, das sie gegen jede Veränderung abdichten, ihre Köpfe zusammenstecken und in den Geschichten, die sie sich zuraunen, ein wundersames Kolchis
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