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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Existenzform aufzusteigen. Ich will nicht niemand sein. Dieses Ziel im Auge, stand ich endlich dem Akamas gegenüber.
    Akamas war höflich, auf seine unpersönliche Weise. Die lange Wartezeit erwähnte er mit keinem Wort, dochverbeugte er sich förmlich und schickte dann, auf Presbons Bitte, sogar den Turon, seinen jungen geschickten Gehilfen, aus dem Raum. Der strich dicht an mir vorbei und kniff ein Auge zu. Wir kennen uns ja ganz gut, Turon gehört zu den jungen Männern von Korinth, denen ich mich nicht versage, weil sie an Einfluß gewinnen werden und mir einmal nützlich sein können.
    In Korinth ist es, anders als in Kolchis, geboten, daß der Mann zuerst spricht, sogar, eine lächerliche Sitte, daß der Mann für die Frau spricht. Also nahm Presbon zuerst das Wort und hielt, wie er es sich angewöhnt hat, genau die Mitte zwischen Anmaßung und Unterwürfigkeit. Er ließ Akamas wissen, ich, Agameda, habe ihm eine wichtige Mitteilung zu machen. Akamas richtete seinen Blick auf mich. Dieser Mensch mochte mich nicht. Er sagte: Sprich. Ich sagte, die Angelegenheit betreffe Medea. Akamas unterbrach mich schroff: Für die Einwanderer sei er nicht zuständig. Ich schwor mir, der soll noch Respekt vor mir kriegen. Kühl sagte ich, er müsse natürlich selbst entscheiden, ob er eine Nachricht hören wolle, über deren Wert für Korinth zu urteilen uns nicht zustünde. Da faßte er mich genauer ins Auge, überrascht, schien mir, und wiederholte herrisch: Sprich. Ich sagte ihm, was ich gesehen hatte: Medea habe beim Fest des Königs der Königin Merope nachspioniert.
    Das zu hören mißfiel dem Mann. Spioniert? fragte er mit hochgezogener Augenbraue. Aber wie denn, meine Liebe. Unter seinem unverschämten Blick vergröberten sich meine Gliedmaßen, meine große Nase, die ich möglichst nie im Profil zeige, die ungeschlachten Hände und Füße, die ich schon als Mädchen zu verstecken suchte.Erst Medea, der ich zu meiner Beschämung eine Zeitlang mein Inneres geöffnet habe, versuchte mir Schönheiten anzureden: meine schön geformten Augenbrauen, mein dichtes Haar, meine Brüste. Aber mein Haar ist zu glatt, meine Brüste sind schlaff, das sieht jeder, auch Akamas sah es, ich verwünschte Presbon, der mich hierhergeschleppt hatte. Akamas verachtete mich. Das war mir keine neue Erfahrung. Auch meine guten Kolcher verachten mich, seit ich immer seltener in ihrer kleinen Kolonie erscheine und mich immer häufiger in Begleitung einflußreicher Korinther sehen lasse, und erst recht, als ich ihnen hinwarf, warum ich die Erinnerung an ein Kolchis pflegen sollte, das ich schon seit langem unerträglich gefunden hätte. Da hast du dich früher aber glänzend verstellt, sagte Lyssa mir einmal. Wennschon. Es schert mich nicht, da die Korinther mir meine Unverblümtheit danken. Ich hatte schnell herausgefunden, wie dringlich sie ihren Glauben brauchen, sie lebten im vollkommensten Land unter der Sonne. Was kostet es mich, sie darin zu bestärken?
    Akamas aber sollte dafür zahlen, daß er mich seine Verachtung fühlen ließ. Auch ich will in Schicksale eingreifen, und ich bin dazu genauso begabt wie er, und keine andere Lust übertrifft die, die in mir aufschießt, wenn ich meine Gedanken und Absichten einem anderen Menschen eingegeben habe, so daß er sie als die seinen empfindet.
    Günstig war, daß, was ich dem Akamas zu berichten hatte, der Wahrheit entsprach. Zufällig – das war das einzige unwahre Wort in meinem Bericht –, zufällig hatte ich, beim Königsfest als Betreuerin der Königstochter Glauke weisungsgemäß am Ausgang stehend,unsere Königin Merope den Saal verlassen sehen. Allein. Und hatte dann beobachtet, wie Medea ihr beinah auf dem Fuße gefolgt war. Wie zuerst die Königin, dann Medea hinter einem Fell in der Wand eines Seitengangs verschwunden und lange, jedenfalls so lange ich es für angebracht hielt zu warten, nicht wieder aufgetaucht seien. So daß ich, besorgt, beinah Alarm geschlagen hätte, wenn nicht der Schwächeanfall der Glauke mich ganz in Anspruch genommen hätte. Aber das wisse er ja. Schwächeanfall, das ist das Wort, auf das die Ärzte sich mit dem König geeinigt haben, wenn seine blasse dünne Tochter wieder einmal zu zucken anfängt, sich auf die Erde wirft, wo ihr Körper sich in gräßlicher Weise verrenkt und auf einen Bogen gespannt zu werden scheint, während ihre Augen sich verdrehen, so daß man nur das Weiße in ihnen sieht, und auf ihre verzerrten Lippen Schaum tritt. Jeder im

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