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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ohne je selbst auch nur einen Abglanz dieser Feste zu erhaschen.
    Wir in Kolchis waren beseelt von unseren uralten Legenden, in denen unser Land von gerechten Königinnen und Königen regiert wurde, bewohnt von Menschen, die in Eintracht miteinander lebten und unter denen der Besitz so gleichmäßig verteilt war, daß keiner den anderen beneidete oder ihm nach seinem Gut oder gar nach dem Leben trachtete. Wenn ich, noch unbelehrt, in der ersten Zeit in Korinth von diesem Traum der Kolcher erzählte, erschien auf dem Gesicht meiner Zuhörer immer derselbe Ausdruck, Unglauben vermischt mit Mitleid, schließlich Überdruß und Abneigung, so daß ich es aufgab zu erklären, daß uns Kolchern dieses Wunschbild so greifbar vor Augen stand, daß wir unser Leben daran maßen. Wir sahen, wir entfernten uns davon von Jahr zu Jahr mehr, und unser alter verknöcherter König war das größte Hindernis. Die Idee war naheliegend, daß ein neuer König einen Wandel schaffen könnte. Von den Frauen, die zu unserem Kreis gehörten, kam der kühne Gedanke, Chalkiope, unsere Schwester,zur neuen Königin zu machen. Es ist überliefert, daß in früheren Zeiten Frauen in Kolchis Königinnen waren, und da wir nun einmal dabei waren, alte Bräuche wieder aufzufrischen, erinnerten uns einige der Uralten daran, daß einst in Kolchis ein König nur sieben Jahre regieren durfte, und dann höchstens noch einmal sieben Jahre, dann war seine Zeit abgelaufen, und er hatte seinem Nachfolger das Amt zu überlassen. Wir rechneten nach: Wir waren im siebenten Jahr der zweiten Amtszeit des Königs Aietes, und es gab einige Gutgläubige unter uns, die es für möglich hielten, daß Aietes freiwillig zurücktreten würde, wenn man ihn nur davon überzeugen könnte, daß er damit einem alten kolchischen Gesetz gehorche.
    Wie dumm wir waren. Wie blind. Auch Aietes kannte die alten Geschichten, natürlich hinterbrachte man ihm, was wir vorhatten. Wir hatten ihn unterschätzt. Als die Gruppe von Kolchern, die wir abgesandt hatten, bei ihm erschien, war er vorbereitet. Anstatt von ihnen die Mitteilung zu empfangen, daß seine Regierungszeit beendet sei, überraschte er sie mit einer weitschweifigen Erzählung des alten Brauchs, nach dem ein König nur zweimal sieben Jahre herrschen durfte, und mit der großspurigen Erklärung, daß er sich diesem Brauch beugen werde; mehr noch, er werde genau das tun, was seine Vorväter getan hätten: Er werde für einen Tag seine Würde niederlegen, und an diesem Tag werde sein Sohn und künftiger Nachfolger, Absyrtos, König in Kolchis sein. Dies werde den Sitten unseres Volkes mehr als Genüge tun; denn soweit würden wir ja wohl nicht gehen zu verlangen, daß nach den ältesten Ritualen entweder er, der alteKönig, oder sein junger Stellvertreter geopfert werden müsse.
    Die Leute verwandelten sich von Forderern in Bittsteller, denen es die Sprache verschlug und die betreten abzogen. Mag sein, wir hätten geistesgegenwärtiger reagieren können, wenn nicht just in diesen Tagen die Argonauten überall herumgestreunt, uns überall in die Quere gekommen wären, wir hatten zu tun, sie abzulenken. Sie sollten nichts merken. Sie merkten nichts. Der König nutzte die Situation aus, er handelte schnell und klug. Mit angemessenem, nicht übertriebenem Ritual legte er sein Amt nieder und setzte dich, armer Bruder, zum König ein. Ich sehe dich noch, in kostbare Gewänder gehüllt, winzig auf dem mächtigen Holzthron, und daneben, bescheiden, in einfacher Kleidung, der Nichtmehrkönig Aietes. Ich verstand nicht, was vorging, das ist meine einzige Entschuldigung, doch die Beklemmung, die ich deinem Gesicht ablas, sprang auf mich über.
    Ich weiß immer noch nicht genau, wie er es gemacht hat. Vielleicht hat er gar nicht viel machen müssen. Vielleicht hat er anfangs nichts anderes vorgehabt als das, was er uns sagte, und hat den Gedanken, dich zu töten oder töten zu lassen, erst später gefaßt, als ihm klar wurde, sein trickreiches Vorgehen würde sein Problem nicht lösen. Vielleicht hat er die Trauer um seinen Sohn später nicht einmal vorgetäuscht. Wenn beides möglich gewesen wäre, an der Macht bleiben und dich behalten, so hätte er gerne beides gehabt, Bruder. Der Augenblick, da er erkannte, beides war nicht möglich, muß ihn das Grauen gelehrt haben. Aber dann wählte er, wie es ihm entsprach, die Macht. Und als ihr Mittel die Einschüchterung.
    Vielleicht hat einer seiner Günstlinge den Frauen einen Wink gegeben,

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