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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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daß Medea sich nicht klug verhalten würde, und das hat sie auch nicht getan. Sie hat herumgeschnüffelt, vorsichtig zwar, aber wer Beweise dafür suchte, konnte sie finden. Doch scheint dasGeheimnis, dem sie auf der Spur ist, von so entsetzlicher Art zu sein, daß man diese Beweise nicht öffentlich gegen sie verwenden kann. In vertrackten Sätzen hat Akamas uns diese Lage geschildert. Wir begriffen schnell, und es war Presbon, der auf die Idee kam, anstelle des Vergehens, dessen man sie nicht bezichtigen durfte, ein anderes zu finden, das man öffentlich gegen sie verwenden konnte und das auch zu dem gewünschten Ergebnis führen würde. Nicht mit einer Silbe sprachen wir davon, welches denn dieses gewünschte Ergebnis sein soll. Wir spielten mit unseren immer ausgefeilteren Plänen in einem unwirklichen Raum, als werde niemand durch unser Spiel betroffen. Dies ist eine sehr nützliche Methode, wenn man frei und zugleich wirksam denken will. Es ist übrigens eine Art des Denkens, die wir in Kolchis noch nicht gekannt haben, angeblich ist sie nur den Männern gegeben, aber ich weiß, ich bin begabt dafür. Nur übe ich sie im geheimen.
    Akamas gab uns keinen Auftrag, er wollte sich immer noch den Rückzug freihalten. Wollte Medea noch ein Weilchen beobachten. Wollte mal sehen, ob sie nicht von selbst zu Verstand kam, aber ich war mir sicher, sie würde nicht aufhören, da und dort unauffällig Erkundigungen einzuziehen, die diesen Gang betrafen, in den sie der Königin gefolgt war, soviel wußte ich inzwischen auch und durfte es doch nicht wissen. Ich konnte mich auf Medeas Einbildung verlassen, daß sie unantastbar sei. Sie lief wie in einer Schutzhaut herum. Ich dagegen war seit meiner frühen Kindheit ohne Schutz, allen Verletzungen ausgesetzt. Das konnte sie sich nicht mal vorstellen, Medea, die Königstochter, Medea, die Priesterin der Hekate. Ja, ich wurde mit zehnJahren, als meine Mutter starb, unter die Tempeldienerinnen aufgenommen und durfte bei Medea lernen, das war mein heißester Wunsch gewesen, seit ich denken konnte. Medeas Art zu leben erschien mir als die einzig erstrebenswerte, und so konnte ich nicht nur traurig sein, als meine Mutter tot war. Medea war mit ihr befreundet, sie hatte alle ihre Künste aufgeboten, sie zu retten, das Fieber fraß sie auf. Nie vorher habe ich Medea so zornig gesehen, wenn jemand starb, den sie behandelt hatte. Dieser Zorn hatte etwas Ungehöriges, denn jeder Kolcher weiß, es gibt eine Grenze für die menschliche Fähigkeit zu heilen, hinter der die Götter selbst die Dinge in die Hand nehmen. Es schickt sich nicht, die Götter durch übergroße Trauer um den Toten zu kränken, wie es zu unserem Befremden die Korinther tun; allerdings fehlt ihnen ja auch die Gewißheit, daß die Seelen der Toten nach einer Ruhezeit in einem neuen Körper wieder auferstehen.
    Wie auch immer, Medea nahm mich in ihre Schülerinnenschar auf, wie sie es meiner Mutter versprochen hatte, sie lehrte mich, was sie wußte, aber sie hielt mich zu meiner Enttäuschung von sich fern, sie entzog dem Kind die Zuneigung, nach der es brannte, und erst viel später, als ich in die erste Reihe ihrer Schülerinnen aufgerückt war, sagte sie mir einmal beiläufig, ich hätte doch sicher verstanden, daß sie mich strenger habe behandeln müssen als alle anderen, damit man ihr nicht nachsagen könne, sie ziehe die Tochter ihrer Freundin den anderen vor. Da fing ich an, sie zu hassen.
    Alles kann man nicht haben, hat sie mir einmal gesagt. Nun, auch sie sollte erfahren, daß man nicht alles haben konnte, die gesicherte Stellung im Tempel undzugleich die Liebe von jedermann. Sie hat es gar nicht bemerkt. Erst hier in Korinth wurde sie wieder auf mich aufmerksam, als ich mich schnell von den braven langweiligen Kolchern löste und mich unter die jungen Leute von Korinth mischte. Einmal hat sie das Gespräch mit mir gesucht, hat Anteilnahme geheuchelt und mich gefragt, ob ich unglücklich sei. Ich habe nur gelacht. Es war zu spät.
    Unglücklich. Die Zeiten sind vorbei, da sie mich unglücklich machen konnte. Als ginge es darum, glücklich zu sein. Turon und ich, wir passen glänzend zusammen, weil wir uns gegenseitig nichts vormachen. Ein Zweckbündnis, sagt Presbon, er verstehe das, und es schließe ja wohl andere Verbindungen nicht aus. Auf einmal wollen sie mich alle. Presbon stößt mich als Mann eher ab, sein störrisches rotes Haar, sein schwammiger Körper. Er braucht jemanden, der ihm zuhört, er

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