Medea. Stimmen
Berg hinaufgetrieben wurden,ihr angstvolles Brüllen, das zu uns herüberdrang, kam mir wie ein Unheilszeichen vor. Je näher wir dem Tempelbezirk kamen, desto mehr schwand das Wohlgefühl dieses Morgens, die Bedrückung, die über dem Menschenzug lag, senkte sich auch auf mich. Waren wir nicht alle Opfer, zur stillen Duldung gebrachte Opfer, die zur Schlachtbank trotteten. Ich sagte mir, ich bin Medea, die Zauberin, wenn ihr es denn so wollt. Die Wilde, die Fremde. Ihr werdet mich nicht klein sehen.
Und doch. Jetzt, auf meiner Wartebank in dieser Kammer, die schon dem Verlies gleicht, in das sie sich schnell verwandeln kann, frage ich mich, ob dieses Ende unvermeidlich war. Ob wirklich eine Verkettung von Umständen, gegen die ich machtlos war, mich auf diese Bank getrieben hat, oder ob aus mir heraus etwas, das ich nicht in der Hand hatte, mich in diese Richtung drängte. Nutzlos, jetzt darüber nachzudenken. Aber meine Vernichtung durch äußere Mächte würde ich leichter ertragen, das ist wahr. Leichter, schwerer – Worte aus einem früheren Leben.
Oistros und die liebe Arethusa, die nun auch von der Krankheit niedergeworfen wurde und die ich verlassen mußte, wir drei haben in langen nächtlichen Gesprächen unsere Erfahrungen in Korinth hin und her gewendet. Wie diese Stadt darauf angelegt ist, ihre helle, strahlende, verführerische Seite plötzlich umzukehren ins Düstere, Gefährliche, Tödliche. Wie diese ständige Gefahr die Bewohner der Stadt zwingt, Vorkehrungen dagegen zu treffen, einander in Masken zu begegnen, unter denen, wie sich gezeigt hat, eine dumpfe Wut sich anstaut. Oistros unterbrach mein Grübeln darüber, ob es an mir gewesen wäre, sie versöhnlicher zu stimmen.Weißt du, was als einziges dir geholfen hätte? sagte er. Wenn du dich unsichtbar gemacht hättest wie wir, Arethusa und ich. Im Verborgenen leben, kein Wort sagen, keine Miene verziehen, dann dulden sie dich. Oder vergessen dich. Das Beste, was dir passieren könnte. Aber das steht dir nicht frei.
Er hat recht. Was beraten sie so lange. Sind sie womöglich nicht alle einer Meinung. Gibt es doch Widerspruch. Aber von wem. Könnte es sein, daß mein lieber Jason sich ermannt und ihrem Urteil widerspricht? Aber warum sollte er das tun. Um etwas gutzumachen? Unwahrscheinlich. Einer der Wachmänner bringt mir einen Becher Wasser. Ich trinke gierig. Wie durstig ich bin. Wie ich in den Zügen des jungen Mannes nach einer Spur von Mitgefühl suche. Ich finde keine. Er tut, was man ihm aufgetragen hat. Ich finde auch keinen Abscheu in seinem Gesicht, nur Gleichgültigkeit. Die Korinther haben nach den Ausschreitungen beim Opferfest ihr Gleichgewicht wiedergefunden. An jenem Morgen, in dem langen Zug zum Heiligtum der Artemis, spürte ich eine unheilvolle Gewalt, die sich in der Menschenmenge zusammenballte, die sich Luft machte in Streitigkeiten, Rempeleien am Wegrand, mehr noch in dem verbissenen Schweigen der meisten, in ihren verkrampften Bewegungen, ihren kalten, verstörten, verschlossenen Gesichtern. Ich roch die Ausdünstung der Angst, die wie eine Wolke über dem Zug hing, ich begann, die harte Faust zu spüren, die gegen meinen Magen drückte, sie drückt auch jetzt, ich gehe dagegen an, wie ich es von Kindheit an geübt habe, ich schließe die Augen und sehe mich immer den gleichen Fluß entlanggehen, der unserem Fluß Phasis gleicht, mit seinensanften Uferhängen, mit üppigen Pflanzen, mit Gesichtern von Menschen, die mir zugewandt sind, und der Druck der Faust läßt langsam nach. Als ich Glauke einmal diese Übung anempfahl, brach sie nach kurzer Zeit in Tränen aus, weil sie sich innerlich nicht lösen konnte von der Vorstellung, den langen öden Wüstenweg in Richtung der Totenstadt zu gehen. Ich habe ihr nicht weiterhelfen können, meine Kraft zu heilen hat mich verlassen.
Viele in dem Zug führten bescheidene Opfergaben mit sich, die Vorräte in der Stadt waren nach der Dürre des letzten Jahres fast aufgezehrt, kaum jemand hatte der Göttin mehr darzubringen als ein Ährenbündel, einen Zweig mit Oliven, ein paar getrocknete Feigen, niemand brachte ein Böckchen wie in den früheren Jahren. Die zwanzig Stiere, die vor uns auf dem Gipfel angekommen waren und unverzüglich zu den Opferaltären getrieben wurden, würden für viele das erste Fleisch seit Wochen geben. Auch ich war hungrig und ertappte mich bei dem Gedanken, später heimlich etwas von dem Opferfleisch für die Söhne beiseite zu schaffen. Hinter mir
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