Medea. Stimmen
geworden im Lauf der Jahre, doch es war in gutem Zustand, unverschlissen. Ich mußte lachen, wie ich da nackt auf der Matte stand, mich zuerst mit Blicken, dann mit den Händen abtastete, nicht mehr junges, doch immer noch festes Fleisch, das aufblühte unter Oistros Händen, nicht mehr schlank, schwerer in den Hüften, meine Hände mußten die Brüste anheben, doch meine Haut hatte die schöne dunkle Bräune behalten, meine Hand- und Fußgelenke waren schmal geblieben, Fesseln wie eineGeiß, sagt Oistros, und mein Haar war wieder kraus und füllig wie eh und je. Wenige Wochen war es her, daß ich mir meine Haare in Büscheln von der Kopfhaut ziehen konnte und daß sie in Mengen in der Eselsmilch schwammen, mit der Lyssa sie mir spülte, wir wußten beide, kein Mittel half gegen den Kummer, der mir die Haare nach meinem schweren Fieber vom Kopf löste und über den ich nicht sprechen konnte. Es war ein Lebensschmerz, der nicht nur mich betraf, auch nicht nur die arme Iphinoe, deren Gebeine in der Höhle ihn ausgelöst hatten, ein Gefühl, das sich in mir ausbreitete und tiefer, düsterer wurde, gesteigert durch den Haß der Agameda, die Verräterei des Presbon und die Skrupellosigkeit des Akamas, die alle zusammen die dumpfe Menge gegen mich aufhetzten. Die Wende kam, als sie mich durch die Straßen trieben. Auf einmal wußte ich, daß ich leben wollte. Und dann Oistros. Oistros ist ein starker Anlaß. Ich erlebe diese Wiedergeburt aus Liebe nicht zum erstenmal, auch mein Haar hält nun wieder an mir fest. Sie könnten mich an meinen Haaren durch die Stadt schleifen.
Nachdem ich mein Gesicht, dann die Arme in die Schüssel mit dem Quellwasser getaucht hatte, streifte ich das Kleid über, prüfte seinen lockeren Fall, band das Haar mit der weißen Binde der Priesterin zurück, wie es dem Festtag entsprach, und ging zu Lyssa hinüber, die mit dem Rücken zu mir am Herd die erste Portion Fladen buk, die jenen würzigen, leicht brenzligen Geruch verbreiteten, der bei uns zu Hause die Feiertage ankündigte. Auch für die Kolcher und Kolcherinnen brach das Frühlingsfest an, aber hier erzeugen unsere Bräuche, auch wenn wir sie pünktlich, vielleicht allzupünktlich befolgen, nur einen schwachen Abglanz jener Festtagsstimmung, aus der heraus sie in Kolchis immer wieder neu geboren wurden. Und doch war dieser schwache Abglanz besser als nichts, so fühlen die meisten, und ich mische mich nicht in ihre Gefühle ein.
Lyssa wandte sich um, sah mich in meiner Festkleidung, erschrak. Ob ich so heute gehen wolle. Ja. Aber wohin? Zum Artemis-Fest der Korinther. Lyssa schwieg. Ich sah sie genauer an, sie war älter geworden, rundlicher, zugleich fester. Sie ist es ja, die jede Einzelheit unserer manchmal komplizierten Rituale in ihrem Gedächtnis aufbewahrt, sie an die Jüngeren weitergibt und unerschütterlich auf ihrer Einhaltung besteht. Nie konnte sie es billigen, wenn eine Kolcherin, wenn ausgerechnet ich zu einem großen Fest der Korinther ging, nie würde sie meinen Grund dafür anerkennen, nie zugestehen, daß eine versöhnliche Haltung uns Kolchern nützen könnte. Sie sagte bitter, ich entferne mich ganz umsonst von den Kolchern, die Korinther würden mir das nie danken. Sie hat recht behalten, und ich habe mich getäuscht. Und doch müßte ich wieder das gleiche tun. Ich würde wieder hier enden, in diesem elenden Raum, in dem die Luft mir knapp wird, getrennt von allen, von Lyssa und meinen Kolchern, von Oistros und Arethusa, von den Korinthern, die über mich zu Gericht sitzen, und auch von Jason und meinen und seinen Kindern. So hat es kommen müssen.
Der Duft der frischen Fladen trieb meine Jungen herein, wie zwei Fohlen, die Heu wittern, sagte ich, und sie verbündeten sich sofort mit Lyssa, von wegen Heu, schrien sie, und lustvoll spielten wir noch einmal die Rollen, die wir so viele Male gespielt hatten, die dreigegen mich, unsere Stimmen stritten, unsere Augen lachten. Dann nahmen die Knaben meinen Aufzug wahr, verstummten, umkreisten mich, befingerten den Stoff meines Kleides, schnalzten bewundernd, das tat mir gut, wie lange konnte die Bewunderung dieser Kinder noch der Mutter gelten.
Dann zerrissen sie den ersten Fladen, stopften ihn sich in die Münder, auch ich bekam Heißhunger, begann zu essen, dabei blickte ich mich in der Küche um, sah jedes Stück so deutlich wie zum letzten Mal, jede Gerätschaft, das Keramikgeschirr, die Töpfe auf dem Wandbrett, den splittrigen Holztisch, Lyssas vertraute
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