Medicus 01 - Der Medicus
und Wolle zu tragen, und Rob verstand nicht, weshalb. Wen immer er fragte, der wusste es entweder nicht oder zuckte mit den Achseln und sagte, so laute eben das Gesetz.
Als Rob an diesem Freitag nackt im dampferfüllten Badehaus badete, nahm er seinen Mut zusammen, während sich die Männer um ihren Weisen drängten.
»Schi-aila, Rabbenu, schi-aila« , rief er. Eine Frage, eine Frage! Der rabbenu hörte auf, seinen großen schwabbeligen Bauch einzuseifen, lächelte dem jungen Fremden zu und sagte dann etwas. »Er sagt: >Stell deine Frage, mein Sohn!<« übersetzte Simon. »Es ist euch verboten, Fleisch mit Milch zu essen. Es ist euch verboten, Leinen mit Wolle zu tragen. Die Hälfte des Jahres ist es euch verboten, eure Frauen anzurühren. Warum ist so vieles verboten?«
»Um den Glauben zu erzwingen«, erwiderte der rabbenu . »Warum stellt Gott so merkwürdige Anforderungen an die Juden?«
»Um uns von euch zu unterscheiden«, sagte der rabbenu , aber seine Augen glitzerten freundlich, und seine Worte klangen nicht boshaft. Rob schnappte nach Luft, als Simon ihm Wasser über den Kopf goß.
Alle nahmen an der Feier teil, als am zweiten Freitag des Monats Adar Rahel, die Enkelin des rabbenu , mit Reb Baruchs Enkel Meschullum vermählt wurde.
Am frühen Morgen versammelte sich die Hochzeitsgesellschaft vor dem Hause von Daniel ben Sch'lomo, dem Vater der Braut. Drinnen bezahlte Meschullum den stattlichen Brautpreis von fünfzehn Goldstücken. Die ketubba, der Heiratsvertrag, wurde unterschrieben, und Reb Daniel überreichte eine ansehnliche Mitgift, gab dem Paar den Brautpreis zurück und fügte noch fünfzehn Goldstücke, einen Wagen und ein Pferdegespann hinzu. Nathan, der Vater des Bräutigams, schenkte dem glücklichen Paar zwei Milchkühe. Als sie das Haus verließen, ging die strahlende Rahel an Rob vorüber, als wäre er unsichtbar.
Die gesamte Gemeinde begleitete das Paar zur Synagoge, wo die beiden unter einem Baldachin sieben Segenssprüche aufsagten. Meschullum zertrat ein dünnes Glas, um zu veranschaulichen, dass Glück vergänglich ist und dass die Juden die Zerstörung des Tempels nicht vergessen dürfen. Dann waren sie Mann und Frau. Die Feier dauerte den ganzen Tag. Ein Flötist, ein Pfeifer und ein Trommler sorgten für Musik, und die Juden sangen fröhlich. Die beiden Großväter breiteten freudig die Arme aus, schnalzten mit den Fingern, schlössen die Augen, warfen die Köpfe zurück und tanzten. Die Hochzeitsfeier endete erst in den frühen Morgenstunden. Rob hatte viel zuviel Fleisch und schwere Süßspeisen gegessen und zuviel getrunken. Als er endlich in der Wärme mit der Katze zu seinen Füßen auf dem Stroh lag, musste er grübeln. Er erinnerte sich mit immer weniger Abscheu an die blonde Frau in Gabrovo und zwang sich, nicht an Mary Cullen zu denken. Er dachte neidisch an den mageren jungen Meschullum, der in diesem Augenblick bei Rahel lag, und hoffte, dass die großartige Gelehrsamkeit des Jungen diesen befähigen würde, sein Glück zu schätzen.
Er erwachte noch vor Sonnenaufgang und spürte die Veränderung in seiner Umwelt mehr, als er sie hörte.
Nachdem er wieder eingeschlafen, noch einmal aufgewacht und dann aufgestanden war, konnte er die Geräusche deutlich hören: ein Tropfen, ein Geklingel, ein Rauschen, ein Dröhnen, das immer stärker wurde, weil immer mehr Eis und Schnee schmolzen. Das Schmelzwasser vereinigte sich mit den Gewässern der befreiten Erde, stürzte die Berghänge hinunter und verkündete das Kommen des Frühlings.
Im Weizenfeld
Als Mary Cullens Mutter starb, hatte ihr ihr Vater versprochen, dass er den Rest seines Lebens um seine Frau Jura trauern würde. Sie hatte bereitwillig wie er Schwarz getragen und öffentliche Vergnügungen gemieden, doch als am 18. März ein volles Trauerjahr zu Ende war, sagte sie ihrem Vater, es sei Zeit für sie beide, wieder den Gang des normalen Lebens aufzunehmen.
»Ich trage weiterhin Schwarz«, stellte James Cullen fest. »Ich nicht«, meinte sie, und er nickte.
Sie hatte aus Schottland einen Ballen leichten Stoffs mitgebracht, der aus Wolle von ihren eigenen Schafen gewebt war, und sie erkundigte sich genau, bis sie eine gute Schneiderin in Gabrovo fand. Die Frau nickte, als sie ihr erklärte, was sie wollte, wies aber darauf hin, dass man den Stoff, der eine unbestimmte Naturfarbe aufwies, färben solle, bevor man ihn zuschnitt. Die Krappwurzeln ergäben rote Töne, doch bei ihrer Haarfarbe würde sie dann zu
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