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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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»Aber, aber! Das war doch keine gewöhnliche Monatsblutung, das muss etwas anderes gewesen sein. Du weißt, dass es so war.« Er legte ihr die warme, beruhigende Hand auf den Bauch und tröstete sie mit Küssen.
    Einige Tage später, als er mit ihr auf dem Wagen fuhr, begann er von Dingen zu sprechen, die er noch nie jemandem erzählt hatte: vom Tod seiner Eltern, der Trennung der Geschwister und deren Verlust. Sie weinte, als könne sie nie aufhören, und wandte sich ab, damit ihr Vater es nicht sah.
    »Wie ich dich liebe«, flüsterte sie.
    »Ich liebe dich«, antwortete er langsam und staunend. Er hatte noch nie diese Worte zu jemandem gesagt. »Ich will dich nie verlassen«, sagte sie.
    Von da an drehte sie sich oft, wenn sie unterwegs waren, auf ihrem schwarzen Wallach um und sah ihn an. Ihr Geheimzeichen war, mit den Fingern der rechten Hand die Lippen zu berühren, als wollten sie ein Insekt oder ein Staubkörnchen wegwischen. James Cullen suchte häufig Vergessen im Alkohol, und sie suchte manchmal Rob auf, wenn ihr Vater getrunken hatte und tief schlief. Er versuchte, sie davon abzubringen, nachts allein im Lager herumzugehen. Aber sie war eine eigensinnige Frau und kam dennoch, und er freute sich jedesmal.
    Mary lernte schnell. Sehr bald kannten die beiden die Eigenheiten und Fehler des anderen, als wären sie alte Freunde. Ihre Körpergröße gehörte zu dem Zauber, und manchmal, wenn sie sich im Einklang bewegten, musste Rob an riesige Tiere denken, die sich donnernd paarten. Es war in gewissem Sinn für ihn ebenso neu wie für sie; er hatte viele Frauen gehabt, aber vorher nie geliebt. Jetzt wollte er ihr nur Freude schenken.
    Er war beunruhigt und schweigsam, und er begriff nicht, was ihm innerhalb von so kurzer Zeit widerfahren war.

    Sie kamen immer tiefer in die europäische Türkei, in einen Teil des Landes, der Thrazien hieß. Die Weizenfelder verwandelten sich in wellige, mit dichtem Gras bestandene Ebenen, und sie sahen immer mehr Schafherden.
    »Mein Vater erwacht zum Leben«, erzählte ihm Mary. Wann immer sie an Schafherden vorbeikamen, galoppierten James Cullen und der unentbehrliche Seredy fort, um mit den Hirten zu sprechen. Die braunhäutigen Männer hielten lange Hirtenstäbe in den Händen und trugen langärrnelige Hemden und weite Hosen, die an den Knien zusammengebunden wurden.
    Eines Abends kam Cullen allein zu Rob. Er setzte sich ans Feuer und räusperte sich unbehaglich.
    »Ich möchte nicht, dass Ihr mich für blind haltet.«
    »Ich hatte auch nicht angenommen, dass Ihr es seid«, erwiderte Rob nicht ohne Respekt.
    »Ich möchte mit Euch über meine Tochter reden. Sie ist nicht ungebildet. Sie kann Latein.«
    »Meine Mutter konnte auch Latein. Sie hat es mir ein wenig beigebracht.«
    »Mary beherrscht das Latein recht gut. In fremden Ländern leistet das gute Dienste, weil man dann mit Schreibern und Priestern sprechen kann. Ich habe sie zu den Nonnen in Walkirk in die Schule geschickt. Sie nahmen sie, weil sie sie in den Orden locken wollten, aber ich war unbesorgt, sie hat kein großes Talent für Sprachen. Doch nachdem ich ihr erklärt hatte, dass sie Latein können müsse, strengte sie sich an. Schon damals träumte ich davon, nach dem Osten zu reisen, um gute Schafe zu erwerben.«
    »Könnt Ihr die Schafe denn lebend heimbringen?« Rob bezweifelte es. »Und ob. Ich verstehe etwas von Schafen. Es war zunächst nur ein Traum gewesen, aber als meine Frau starb, beschloss ich aufzubrechen. Meine Verwandten behaupteten, ich würde fliehen, weil ich vor Kummer verrückt sei, doch es steckte mehr dahinter.«
    Die Stille war beinahe greifbar.
    »Wart Ihr schon einmal in Schottland?« fragte Cullen schließlich. Rob schüttelte den Kopf. »Ich bin nie weiter gekommen als bis an die Nordgrenze Englands und zu den Cheviot Hills.« Cullen schnaubte. »Ihr habt Euch vielleicht in der Nähe Schottlands befunden, habt jedoch vom Land selbst keine Ahnung. Schottland liegt höher, versteht Ihr, und die Felsen sind schroffer. In den Bergen gibt es gute Flüsse voller Fische, und es bleibt noch reichlich Wasser für das Weideland. Unser Besitz liegt zwischen zerklüfteten Bergen, ein sehr großes Gut.
    Riesige Herden.«
    Er machte eine Pause, als wollte er seine Worte sorgfältig wählen. »Der Mann, der Mary heiratet, wird den Besitz übernehmen; er muss von der rechten Art sein.«
    Er beugte sich zu Rob. »In vier Tagen werden wir die Stadt Babaeski erreichen. Dort verlassen meine Tochter und

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