Medicus 01 - Der Medicus
Rob sehr.
»Ist es koscher ?« fragte er vorsichtshalber. »Natürlich ist es koscher . Ihr könnt es bedenkenlos essen.« Nach dem Fleisch trug Salman in Honig getränkten Kuchen und ein angenehmes Getränk auf, das er Scherbett nannte. »Ihr kommt von weit her?« fragte er. »Aus Europa.«
»Aus Europa. Ah.«
»Wie kommt Ihr darauf?«
Der alte Mann grinste. »Nach der Art, wie Ihr unsere Sprache sprecht.« Er sah Robs Gesichtsausdruck. »Ihr werdet sie bestimmt besser sprechen lernen. Wie ist es, in Europa ein Jude zu sein?« Rob wußte nicht, was er darauf antworten sollte, dann dachte er an den Ausspruch Zevis. »Es ist oft schwer, ein Jude zu sein.« Salman nickte ernst.
»Und wie ist es, in Isfahan ein Jude zu sein?«
»Oh, hier ist es nicht übel. Die Menschen werden zwar im Qu'ran angewiesen, uns zu schmähen, und deshalb beschimpfen sie uns, aber sie sind an uns gewöhnt und wir an sie. Es hat in Isfahan schon immer Juden gegeben.
Die Stadt wurde von Nebukadnezar gegründet, der die Juden, so sagt die Legende, hier ansiedelte, nachdem er sie gefangengenommen hatte, als er Judäa eroberte und Jerusalem zerstörte. Dann verliebte sich neunhundert Jahre später ein Schah namens Jasdegerd in eine Jüdin, die hier lebte. Sie hieß Shusha-Dukht, und er machte sie zu seiner Königin. Dank ihrer Hilfe verbesserte sich die Lage ihres Volkes, und es siedelten sich immer mehr Juden an.« Rob sagte sich, er hätte keine bessere Identität wählen können. Hier konnte er untertauchen wie eine Ameise in einem Ameisenhaufen, sobald er die hiesige Lebensweise gelernt hatte.
So begleitete er also nach dem Abendessen den Wirt zum Haus des Friedens, wie eine der Dutzend Synagogen hieß. Es war ein quadratisches Gebäude aus alten Steinen, dessen Sprünge mit weichem, braunem Moos ausgestopft waren, obwohl es nicht feucht war. Die Synagoge besaß nur schmale Sehschlitze statt Fenster und eine so niedrige Tür, daß Rob sich bücken mußte, um hindurchzuschlüpfen. Ein dunkler Gang führte ins Innere, wo er im Lampenlicht Säulen erkannte, die einen Dachstuhl trugen, der zu hoch und dunkel war, als daß man ihn ausmachen konnte. Im Hauptraum saßen die Männer, während die Frauen hinter einer Mauer in einem kleinen Alkoven an der Seite des Gebäudes ihre Andacht verrichteten. Rob fand es leichter, die ma'ariiv-Anbetung in der Synagoge zu verrichten als in Gesellschaft nur weniger Juden. Hier gab es einen Vorbeter und eine ganze Gemeinde, die murmelte oder sang, also schloß er sich dem allgemeinen Vor- und Zurückbeugen an, ohne Hemmungen wegen seiner mangelhaften Hebräischkenntnisse und der Tatsache zu haben, daß er bei den Gebeten oft nicht mithalten konnte.
Auf dem Rückweg zum Gasthof lächelte ihn Salman pfiffig an. »Vielleicht wollt Ihr, da Ihr ein junger Mann seid, ein wenig Unterhaltung, wie? Abends erwachen hier die maidans , das sind die Plätze im mohammedanischen Teil der Stadt, zum Leben. Dort gibt es Frauen und Wein, Musik und Unterhaltungen, wie Ihr es Euch kaum vorstellen könnt, Reb Jesse.«
Doch Rob schüttelte den Kopf. »Vielleicht ein andermal«, erwiderte er, »aber heute will ich einen klaren Kopf bewahren, denn morgen habe ich eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit zu erledigen.«
In dieser Nacht schlief er nicht, sondern er warf und wälzte sich unruhig hin und her und hätte nur allzu gern gewußt, ob Ibn Sina ein zugänglicher Mann war.
Am Morgen suchte er das öffentliche Bad auf, einen Ziegelbau, der über einer natürlichen warmen Quelle errichtet war. Mit kräftiger Seife und sauberen Tüchern schrubbte er den angesammelten Reiseschmutz herunter, und als sein Haar trocken war, nahm er ein chirurgisches Messer und stutzte seinen Bart, wobei er sich in seinem polierten Stahlwürfel betrachtete. Der Bart hatte nun die nötige Fülle, und er fand, daß er wie ein echter Jude aussah.
Er trug den besseren von seinen beiden Kaftanen und setzte seinen Lederhut auf. Auf der Straße ersuchte er einen Mann mit verkrüppelten Gliedmaßen, ihm den Weg zu der Ärzteschule zu zeigen. »Ihr meint die madrassa , den Ort des Lernens. Sie steht neben dem Krankenhaus«, gab der Bettler Auskunft, »an der Straße Alis bei der Freitagsmoschee in der Mitte der Stadt.« Als Gegenleistung für eine Münze segnete der Krüppel Robs Kinder bis ins zehnte Glied. Es war ein langer Weg. Rob erkannte, daß Isfahan eine geschäftige Stadt war, in der überall Männer ihr Handwerk ausübten: Schuhmacher und
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