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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sogar Eure Sprache erlernt.«
    »Nicht sehr gut, würde ich meinen.« Der hadschi rümpfte die Nase. »Wir bilden nicht einfach Ärzte aus. Wir bringen keine Handwerker hervor, wir erziehen gebildete Männer. Unsere Studenten lernen neben der Medizin auch Theologie, Philosophie, Mathematik, Physik, Astrologie und Rechtswissenschaft, und wenn sie die Schule als allseits gebildete Wissenschaftler abschließen, können sie eine Laufbahn als Lehrer, Medicus oder Jurist wählen.« Rob wartete beklommen.
    »Ihr werdet sicherlich begreifen. Es ist unmöglich.« Rob begriff. Fast zwei Jahre!
    Er hatte sich von Mary Cullen abgewendet. Er hatte in der glühenden Sonne geschwitzt, im eisigen Schnee gezittert, war von Sturm und Regen gepeitscht worden. Er war durch Salzwüsten und gefährliche Wälder gezogen. Wie eine verdammte Ameise hatte er sich über ein Gebirge nach dem anderen gequält.
    »Ich gehe erst weg, wenn ich mit Ibn Sina gesprochen habe«, erklärte er entschlossen.
    Hadschi Davout Hosein öffnete den Mund, doch er sah einen Ausdruck in Robs Augen, der ihn veranlaßte, den Mund wieder zu schließen. Er wurde blaß und nickte rasch. »Wartet bitte hier!« Damit verließ er den Raum.
    Rob blieb allein zurück.
    Nach einiger Zeit kamen vier Soldaten. Keiner war so groß wie er, aber sie waren alle sehr kräftig. Sie trugen kurze Schlagstöcke. Einer hatte ein pockennarbiges Gesicht und schlug seinen Stab immer wieder auf die linke Handfläche.
    »Wie heißt Ihr, Jude?« fragte der Pockennarbige nicht unhöflich.
    »Ich heiße Jesse ben Benjamin.«
    »Ein Ausländer, ein Europäer, sagte der Hadschi?«
    »Ja, aus England. Ein Land, das sehr weit entfernt ist.«
    Der Soldat nickte. »Habt Ihr Euch geweigert, Euch auf Ersuchen des Hadschi zu entfernen?«
    »Das stimmt, aber...«
    »Es ist jetzt Zeit, Jude, daß Ihr geht. Und zwar mit uns.«
    »Ich werde nicht weggehen, ohne mit Ibn Sina gesprochen zu haben.«
    Der Wortführer holte mit seinem Stock aus.
    Nur nicht auf meine Nase! dachte Rob voller Angst.
    Aber schon begann sie zu bluten, denn die vier wußten, wo und wie sie die Stöcke sparsam und wirkungsvoll einsetzen mußten. Ein Schlag traf ihn oberhalb der Schläfe, und er war plötzlich betäubt; Brechreiz quälte ihn. Er versuchte, im Dienstzimmer des hadschi zu erbrechen, aber der Schmerz war zu groß.
    Sie verstanden ihr Geschäft sehr gut. Als Rob keine Bedrohung mehr darstellte, hörten sie auf, ihn mit den Stöcken zu traktieren, und verprügelten ihn geschickt mit den Fäusten.
    Sie führten ihn aus der Schule, wobei ihn zwei unter den Armen stützten. Draußen hatten sie vier große, braune Pferde angebunden. Langsam ritten sie, während er zwischen zwei Tieren dahinstolperte. Wenn er stürzte, was dreimal der Fall war, stieg einer ab und trat ihn kräftig in die Rippen, bis er wieder auf die Beine kam. Der Weg schien endlos lang zu sein, doch sie verließen nur das Gelände der madrassa und gelangten zu einem kleinen Ziegelgebäude, das schäbig und wenig anziehend aussah und das zu der niedrigsten Stufe der islamischen Gerichtsbarkeit gehörte, wie er noch erfahren sollte. Drinnen stand nur ein Holztisch, hinter dem ein mürrischer Mann mit dichtem Haar und Vollbart saß, der ein schwarzes, offensichtlich geistliches Gewand trug, das dem Kaftan Robs nicht unähnlich war. Er war gerade im Begriff, eine Melone durchzuschneiden.
    Die vier Soldaten führten Rob vor den Tisch und blieben ehrerbietig stehen, während der Richter mit einem schmutzigen Fingernagel die Kerne aus einer Melonenhälfte kratzte und in eine irdene Schüssel fallen ließ. Dann schnitt er die Hälfte in Spalten und aß sie langsam. Als er fertig war, wischte er sich die Hände und dann das Messer an dem Gewand ab, wandte sich in die Richtung von Mekka und dankte Allah für die Speise.
    Als er sein Gebet beendet hatte, seufzte er und blickte die Soldaten an.
    »Ein verrückter europäischer Jude, der die öffentliche Ruhe gestört hat, Mufti «, meldete der Soldat mit dem pockennarbigen Gesicht. »Auf Veranlassung von Hadschi Davout Husein festgenommen, dem er mit Gewaltanwendung gedroht hat.«
    Der mufti nickte und stocherte mit dem Fingernagel ein Stück Melone zwischen seinen Zähnen hervor. Er sah Rob an. »Ihr seid kein Mohammedaner und werdet von einem Mohammedaner angeklagt. Das Wort eines Ungläubigen gilt nichts gegen das Wort eines Gläubigen. Kennt Ihr einen Mohammedaner, der bereit ist, zu Eurer Verteidigung zu

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