Medicus 01 - Der Medicus
sich die knienden Männer.
»Seid Ihr unverletzt?« fragte Lonzano.
»Ja, ja.« Robs Kaftan war zwar zerrissen, aber er war heil geblieben.
»Wer war das?«
»Das war Alã-al-Dawla, Shahansha . Der König der Könige.«
Rob starrte auf die Straße, auf der die Männer sich entfernt hatten.
»Was ist ein Dhimmi ?«
»Es bedeutet >ein Mann des Buches<; so nennen sie die Juden hier«, erklärte Lonzano.
Reb Jesses Stadt
Rob und die drei Juden trennten sich zwei Tage später in Kupajeh, einem aus einem Dutzend verfallener Ziegelhäuser bestehenden Dorf an einer Straßenkreuzung. Der Umweg durch die Dasht-i-Kavir hatte sie etwas zu weit nach Osten geführt, aber Rob befand sich nicht einmal eine Tagesreise westlich von Isfahan, während die Juden noch drei anstrengende Wochen nach Süden reisen und die Straße von Hormus überqueren mußten, ehe sie zu Hause waren. Rob war klar, daß er ohne diese Männer und die jüdischen Dorfbewohner, die ihnen Asyl gewährt hatten, Persien niemals erreicht hätte. Er und Loeb umarmten einander. »Geh mit Gott, Reb Jesse ben Benjamin!«
»Geh mit Gott, mein Freund!«
Selbst der griesgrämige Arieh quälte sich ein schiefes Lächeln ab, als sie einander gute Reise wünschten; zweifellos sagte er Rob ebenso gern Lebewohl wie dieser ihm.
»Wenn Ihr die Ärzteschule besucht, müßt Ihr Ariehs Verwandten, Reb Mirdin Askari, unsere Grüße ausrichten«, trug ihm Lonzano auf. »Gern.« Rob ergriff Lonzanos Hände. »Ich danke Euch, Reb Lonzano ben Ezra!«
Lonzano lächelte. »Für einen Mann, der beinahe ein Andersgläubiger ist, wart Ihr ein angenehmer Reisegefährte und ein trefflicher Mann. Geht in Frieden, Inghili !«
»Geht auch Ihr in Frieden!«
Mit vielen guten Wünschen gingen sie in verschiedene Richtungen auseinander. Rob ritt auf dem Maultier, denn nach dem Angriff des Panthers hatte er sein Bündel auf den Rücken des armen, verängstigten Esels geladen und führte nun das Tier am Zaum. Er kam mit dieser neuen Regelung zwar langsamer voran, aber die Erregung in ihm wuchs, und er wollte die letzte Etappe bewußt reisen, um sie gebührend zu genießen.
Es war gut, daß er es nicht eilig hatte, denn die Straße war verkehrsreich. Er hörte wieder jenes Geräusch, das ihm so gut gefiel, und bald überholte ihn eine Karawane von Kamelen mit Glocken; jedes der Tiere trug zwei große Reiskörbe. Er hielt sich hinter dem letzten Kamel und erfreute sich am melodischen Geklingel der Glocken. Am späten Nachmittag erklomm das Maultier die Kuppe eines Hügels. Rob schaute auf ein kleines Flußtal hinunter und erblickte -zwanzig Monate, nachdem er London verlassen hatte - Isfahan. Sein erster, vorherrschender Eindruck war blendende Weiße mit tiefblauen Schatten. Es war eine blühende Stadt voller Halbkugeln und Kurven, mit großen, gewölbten Gebäuden, die im Sonnenlicht glitzerten, mit Moscheen und Minaretten, die wie hochragende Lanzen aussahen, mit weiten Grünflächen und ausladenden Zypressen und Platanen. Der südliche Teil der Stadt aber leuchtete in warmem Rosa, weil hier die Sonnenstrahlen von Sandhügeln statt von Kalkstein reflektiert wurden.
Nun konnte er sich nicht zurückhalten. »Hai!« schrie er und stieß dem Maultier die Absätze in die Flanken. Der Esel trottete hinterher, als sie aus der Reihe scherten und die Kamele in raschem Trab überholten.
Eine Viertelmeile vor der Stadt verwandelte sich die Straße in eine großartige Allee mit Kopfsteinpflaster - die erste gepflasterte Straße, die er seit Konstantinopel sah. Sie war sehr breit und hatte vier voneinander durch hohe Platanen getrennte Fahrbahnen. Die Allee überquerte den Fluß auf einer Brücke, die in Wirklichkeit ein bogenförmiger Damm war. In der Nähe einer Inschrift, die den Wasserlauf als Zajandeh, den Fluß des Lebens, bezeichnete, spritzten und schwammen braunhäutige Jungen.
Die Allee brachte ihn zur großen, steinernen Stadtmauer und zu einem einzigartigen überwölbten Tor. Hinter der Mauer erhoben sich die großen Häuser der Reichen mit Terrassen, Obstgärten und Weinbergen. Überall sah man Hufeisenbogen: überwölbte Torwege, Bogenfenster, bogenförmige Gartentore. Jenseits des vornehmen Viertels ragten Moscheen und größere Gebäude auf mit weißen runden Kuppeln, die kleine Spitzen hatten, als hätten sich ihre Architekten unsterblich in die weibliche Brust verliebt. Alles war aus weißem Stein, der mit dunkelblauen Fliesen eingefaßt war, die geometrische Muster oder Zitate
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