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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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überfordert worden. Fast sofort erbrach er seinen Mageninhalt auf die staubige Straße. Sein Hals blutete, wo er von dem Block aufgescheuert war, und hinter seinen Augen pochte es hart. Er trat in den Schatten einer Platane und dachte an das grüne England, an sein Pferd, an den Wagen mit dem Geld unter den Bodenbrettern und an Mistress Buffington, die neben ihm gesessen und ihm Gesellschaft geleistet hatte.
    Die Menge wurde jetzt dichter; unzählige Menschen strömten durch die Straße, alle in die gleiche Richtung.
    »Wohin gehen all die Leute?« fragte er den Essenverkäufer. »Zur Audienz des Schahs.« Der Mann blickte den zusammengesunkenen Juden mißtrauisch an, bis Rob sich trollte.
    Warum nicht? fragte er sich. Blieb ihm eine andere Wahl? Er schloß sich dem Menschenstrom an, der der All-und Fatima-Allee folgte, die vierbahnige Allee der tausend Gärten überquerte und in die großartige Prachtstraße, die Tore des Paradieses hieß, einbog. Menschen aller Altersstufen, hadschis mit weißen Turbanen, Studenten mit grünen Turbanen, mullahs , gesunde und verkrüppelte Bettler in Lumpen, abgetragene Turbane in allen Farben auf dem Kopf, junge Väter mit Säuglingen, Träger mit Sänften, Reiter auf Pferden und Eseln. Rob hinkte hinter einer Gruppe von Juden in schwarzen Kaftanen her. Sie näherten sich einer großen, grünen Wiese, die von zwei Steinpylonen an jedem Ende portalartig flankiert wurde. Als das erste Haus der königlichen Hofhaltung in Sicht kam, hielt Rob es für den Palast selbst, denn es war größer als das Schloß des Königs in London. Aber hier folgte Haus auf Haus in der gleichen Größe; die meisten waren aus Ziegeln und Steinen erbaut, viele besaßen Türme und überdachte Portale, und jedes war mit Terrassen und weitläufigen Gärten ausgestattet. Sie kamen an Weingärten, Ställen, zwei Rennbahnen, Obstgärten und Gartenpavillons von solcher Schönheit vorbei, daß er am liebsten die Menge verlassen hätte und in der duftenden Pracht gelustwandelt wäre. Aber er dachte, daß das zweifellos verboten war. Und dann kam er zu einem so gewaltigen und zugleich so überaus gegliederten Bau, wie er ihn nie für möglich gehalten hätte. Er bestaunte die Tittenkuppeln und die Brustwehre mit Zinnen, auf denen Wachen mit glitzernden Helmen und Schilden unter farbigen, in der Brise flatternden Wimpeln auf und ab patrouillierten. Rob zupfte den Mann vor ihm am Ärmel, einen untersetzten Juden, dessen fransenbesetztes Unterkleid unter dem Kaftan hervorsah. »Was ist das für eine Festung?«
    »Das Haus des Paradieses natürlich, der Wohnsitz des Schahs.« Der Mann sah ihn besorgt an. »Ihr blutet, Freund.«
    »Es ist nichts, nur ein kleiner Unfall.«
    Sie drängten sich die lange Zufahrtsstraße hinunter, und als sie näher kamen, erkannte Rob, daß das Hauptgebäude des Palastes von einem breiten Graben geschützt wurde. Die Zugbrücke war hochgezogen, aber diesseits des Grabens, in der Nähe eines öffentlichen Platzes, der als Hauptzugang zum Palast diente, stand eine Halle, durch deren Tore die Menge eintrat.
    Das Innere war ein Raum, der halb so groß war wie die Kathedrale der heiligen Sofia in Konstantinopel. Der Boden bestand aus Marmor; die Wände und die hohe Decke waren aus Stein und so geschickt mit Spalten versehen, daß sanftes Tageslicht im Gebäude herrschte. Es war die Halle der Säulen, denn entlang der vier Wände befanden sich geschmackvoll bearbeitete, kannelierte Steinsäulen, deren Basen in der Form von Beinen und Tatzen verschiedener Tiere gemeißelt waren.
    Die Halle war halb voll, als Rob eintraf, doch sofort traten Leute hinter ihm ein, die ihn in die Gruppe der Juden drängten. Abschnitte der Halle waren durch Seile abgegrenzt, so daß dazwischen Gänge freiblieben. Rob sah sich um und registrierte alles mit einer neuen Intensität, denn die Stunden im carcan hatten ihm deutlich gemacht, daß er ein Ausländer war: Handlungen, die er für natürlich hielt, mochten den Persern seltsam und bedrohlich erscheinen, und ihm war bewußt, daß sein Leben davon abhängen konnte, daß er richtig erahnte, wie sie sich verhielten und was sie dachten. Er bemerkte, daß die Männer aus der oberen Klasse, die gestickte Hosen, Tuniken, Seidenturbane und Schuhe mit Brokatmuster trugen, durch einen gesonderten Eingang hoch zu Roß in die Halle einritten. Jeder wurde etwa hundertfünfzig Schritte vor dem Thron von Dienern angehalten, die sein Pferd für ein Geldstück übernahmen, und von

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