Medicus 01 - Der Medicus
mehreren Stunden bemerkte ein Wächter, daß der Mann links von Rob tot war. Er wurde weggebracht, und ein anderer kam an seine Stelle. Zu Mittag war Robs Zunge rauh, und sie schien den gesamten Mund auszufüllen. Er hatte weder den Drang zu urinieren noch den, seinen Kot zu entleeren, denn alle Ausscheidungen hatte die Sonne längst aus ihm herausgedörrt. Zeitweise dachte er, er sei wieder in der Wüste, und in lichten Momenten erinnerte er sich sehr lebhaft an Lonzanos Beschreibung, wie ein Mensch verdurstet; an die geschwollene Zunge, die schwarz wurde, und die Vorstellung, daß er sich anderswo befinde.
Dann wandte Rob den Kopf und begegnete dem Blick des neuen Gefangenen. Sie schätzten einander ab, und Rob sah das geschwollene Gesicht und die aufgeplatzten Lippen des anderen. »Gibt es niemanden, den wir um Gnade bitten können?« flüsterte er. Der andere zögerte, vielleicht wunderte er sich über Robs Akzent.
»Es gibt Allah«, meinte er endlich. Wegen seiner geplatzten Lippe war auch er nicht leicht zu verstehen. »Aber hier niemanden?«
»Du bist ein Fremdling, Dhimmi ?«
»Ja.«
Der Mann schüttete seinen Haß über Rob aus. »Du hast mit einem mullah gesprochen, Fremder. Ein heiliger Mann hat dich verurteilt.« Er schien das Interesse an Rob zu verlieren und wandte das Gesicht ab. Der Sonnenuntergang erwies sich als Segen. Der Abend brachte eine Kühle, die Rob beinahe als angenehm empfand.
Sein Körper war taub, und er fühlte keinen Schmerz mehr in den Muskeln; vielleicht lag er schon im Sterben.
In der Nacht sprach der Mann neben ihm wieder. »Es gibt noch den Schah, fremder Jude.« Rob wartete.
»Gestern, der Tag unserer Marter, war Mittwoch, Chaban Shanbah . Heute ist Panj Shanbah . Und jede Woche hält am Morgen des Panj Schanbah Alã-al-Dawla Shahansha Audienz, um vor Jom'a , dem Sabbat, seine Seele möglichst vollkommen zu reinigen. Dabei kann sich jeder seinem Thron in der Halle der Säulen nähern, um sich über Ungerechtigkeiten zu beklagen.«
Rob konnte die aufkeimende Hoffnung nicht unterdrücken. »Jeder?«
»Jeder. Sogar ein Gefangener kann verlangen, seinen Fall dem Schah unterbreiten zu dürfen.«
»Nein, du darfst es nicht tun«, rief jemand in die Dunkelheit. Rob konnte nicht sagen, aus welchem carcan die Stimme kam. »Das mußt du dir aus dem Kopf schlagen«, fuhr die unbekannte Stimme fort, »denn der Schah stößt fast nie das Urteil oder die Entscheidung eines mufti um. Und die mullahs warten ungeduldig auf die Rückkehr jener, die mit ihrer schwatzhaften Zunge dem Schah die Zeit stehlen. Dann werden Zungen herausgeschnitten und Bäuche aufgeschlitzt, wie dieser Teufel sicherlich weiß, dieser verfluchte Hurensohn, der dir schlechte Ratschläge erteilt. Du mußt auf Allah vertrauen und nicht auf Alã Shahansha .«
Der Mann zu seiner Rechten lachte verschmitzt, als hätte man ihn bei einem lustigen Streich ertappt. »Es gibt keine Hoffnung«, sagte die Stimme aus der Dunkelheit.
Die Heiterkeit seines Nachbarn hatte sich in einen Husten- und Niesanfall verwandelt. Als er wieder zu Atem kam, meinte der Mann boshaft: »Ja, wir können unsere Hoffnung aufs Paradies setzen.« Niemand sagte darauf ein Wort.
Vierundzwanzig Stunden, nachdem Rob in den carcan gesperrt worden war, wurde er freigelassen. Er versuchte zu stehen, fiel aber hin und blieb schwerzverkrümmt liegen, während das Blut nur langsam wieder in seine Muskeln drang.
»Geh schon!« schrie ein Wärter und versetzte ihm einen Tritt. Er rappelte sich auf, hinkte aus dem Gefängnis und rannte davon. Er ging zu dem großen Platz mit den Platanen und dem plätschernden Brunnen, aus dem er trank und wieder trank, um seinen großen Durst zu stillen. Dann tauchte er den Kopf ins Wasser, bis ihm die Ohren klangen und er das Gefühl hatte, daß er einen Teil des Gefängnisgestanks weggewaschen hatte.
Die Straßen von Isfahan waren voller Menschen, und die Vorübergehenden sahen ihn an. Er war während seiner Bewußtlosigkeit bestohlen worden. Er fluchte wild und wußte nicht, ob der Soldat mit den Pockennarben oder ein Gefängniswächter der Dieb gewesen war. Die Bronzemünze, die man ihm gelassen hatte, war ein Hohn oder ein schlimmer Scherz des Diebes. Er gab sie einem Essenverkäufer, der ihm eine kleine Portion fetten pilaw reichte. Das Gericht war gewürzt und enthielt auch ein paar Bohnen. Rob verschlang es zu schnell, vielleicht war aber auch sein Körper durch die Entbehrungen, die Sonne und den carcan
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