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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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jetzt undeutlich Menschen, die über dem Boden zu schweben schienen und ihn lautlos antrieben, doch sein Verstand war vollkommen klar. Er sah, wie ein mullah die enge Wendeltreppe der Moschee betrat, zu dem kleinen Umgang des hohen Turms emporstieg und darauf wartete, daß der letzte Lichtstrahl erstarb. Er wußte, daß ihm nur noch wenige Augenblicke blieben. Er versuchte, mit seinen tauben Beinen größere Schritte zu machen, bemühte sich, das bisherige Tempo zu beschleunigen. Vor ihm riß sich ein kleiner Junge von seinem Vater los und lief auf die Straße hinaus. Der Knirps blieb stehen und starrte auf den Riesen, der sich auf ihn zuschleppte.
    Karim hob das Kind hoch und setzte es sich auf die Schultern, während er lief, und tosender Beifall ließ die Erde erbeben. Als er mit dem Jungen die Pfosten erreichte, erwartete ihn Alã Shahansha , und während er den zwölften Pfeil ergriff, nahm der Schah seinen Turban ab und tauschte ihn gegen die federgeschmückte Mütze des Läufers ein. Dem Toben der Menge gebot der Ruf des muezzins von den Minaretten der Stadt Einhalt. Die Menschen warfen sich in Richtung Mekka auf den Boden und versanken im Gebet. Das Kind, das immer noch bei Karim war, begann zu weinen, und er ließ es los. Dann war das Gebet vorüber, und als er sich erhob, stürzten sich der Schah und die Adeligen auf ihn. Hinter ihnen begannen die einfachen Leute wieder zu schreien. Sie drängten sich vor, um ihm näher zu sein, und es war, als gehöre ganz Persien plötzlich Karim Harun.

Fünfter Teil
Der Feldscher
Das Geständnis
    »Warum mögen sie mich nicht?« fragte Mary Rob. »Ich weiß es nicht.« Er versuchte nicht, es zu leugnen; sie war nicht dumm. Als die jüngste Halevi-Tochter vom Nachbarhaus zu ihnen watschelte, lief ihre Mutter Judith, die dem fremden Juden kein warmes Fladenbrot mehr schenkte, zu der Kleinen, hob sie wortlos auf und flüchtete wie vor einem verderblichen Einfluß. Rob nahm Mary auf den jüdischen Markt mit und stellte fest, daß man ihn nicht mehr anlächelte, weil er der Jude mit dem calãt war, und daß er auch bei der Händlerin Hinda nicht mehr der bevorzugte Kunde war. Sie kamen an ihrer Nachbarin und deren draller Tochter Lea vorbei, und die beiden Frauen blickten ostentativ beiseite, als hätte Jakob ben Rashi nicht anläßlich eines Abendessens am Sabbat Rob zu verstehen gegeben, daß er ein Mitglied der Schuhmacherfamilie werden könne. Wo immer Rob durch die Jehuddijeh ging, verstummten plaudernde Juden und starrten ihn an. Er redete sich ein, daß es ihm nichts ausmache: Was bedeuteten ihm die Leute im Judenviertel wirklich? Bei Mirdin Askari war es etwas anderes; Rob bildete sich nicht nur ein, daß Mirdin ihm aus dem Weg ging. Wenn er ihm jetzt begegnete, zeigte ihm Mirdin jedesmal ein steinernes Gesicht, grüßte kurz und ging weiter.
    Schließlich suchte Rob Mirdin auf, der im Schatten eines Kastanienbaums auf dem Gelände der madrassa den zwanzigsten und letzten Band des >Al-Hawi< von Rhazes las. »Rhazes war gut. Al-Hawi behandelt die gesamte Medizin«, erklärte Mirdin verlegen. »Ich habe bisher zwölf Bände gelesen. Zu den anderen komme ich bald.«
    Rob sah ihn an. »Ist es schlimm, daß ich eine Frau gefunden habe, die ich liebe?«
    Mirdin erwiderte seinen Blick. »Wie konntest du eine Andersgläubige heiraten!«
    »Sie ist ein Juwel, Mirdin.«
    »Ja, die Lippen einer fremden Frau tröpfeln wie eine Honigwabe, und ihr Mund ist glatter als Öl. Sie ist eine Nichtjüdin, Jesse! Du Dummkopf, wir sind ein verstreutes, umzingeltes Volk, das um sein Überleben kämpft.
    Sobald einer von uns außerhalb unseres Glaubens heiratet, bedeutet dies das Ende zukünftiger Generationen der Unsrigen. Wenn du das nicht einsiehst, bist du nicht der Mann, für den ich dich gehalten habe, und ich kann nicht dein Freund sein.«
    Er hatte sich getäuscht - die Menschen des Judenviertels waren ihm nicht gleichgültig, denn sie hatten ihn bereitwillig aufgenommen. Und dieser Mann war ihm am wichtigsten, denn er hatte ihm seine Freundschaft geschenkt, und Rob besaß nicht so viele Freunde, daß er auf Mirdin verzichten konnte. »Ich bin nicht der Mann, für den du mich gehalten hast.« Er fühlte sich verpflichtet, alles zu gestehen, glaubte felsenfest, daß er Mirdin gefahrlos ins Vertrauen ziehen konnte. »Ich habe nicht außerhalb meines Glaubens geheiratet.«
    »Sie ist Christin.«
    »Ja.«
    Aus Mirdins Gesicht wich das Blut. »Soll das ein dummer Scherz sein ?« Als Rob

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