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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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vielleicht konnte er nicht weitere einunddrei-ßig Meilen zurücklegen, bevor der Ruf zum vierten Gebet erklang, das den Sonnenuntergang anzeigte.
    Er wußte jedoch, daß ein vollkommener Sieg Zaki-Omar endgültiger aus seinen bösen Träumen verbannen konnte als der Beischlaf mit allen Frauen der Welt.
    Als er einen weiteren Pfeil einsteckte, nahm er daher, statt sich dem Zelt der Aufsichtsbeamten zuzuwenden, die zehnte Runde des Rennens in Angriff.

    Nachdem das Feld der Läufer auf den letzten Konkurrenten zusammengeschrumpft und der chatir gewonnen war, hatten sie Zuschauer begonnen, sich zu zerstreuen. Doch nun sahen sie Karim allein herankommen, und sie kehrten zurück, weil sie merkten, daß er den calãt des Schahs gewinnen wollte.
    Sie kannten sich bei dem alljährlichen chatir sehr gut aus und wußten, was es bedeutete, einen Tag lang in lähmender Hitze zu laufen. Deshalb erhoben sie ein solch heiseres Freudengeheul, daß das Geräusch Karim um die Rennstrecke zu treiben schien, eine Runde, die er beinahe genoß. Beim Krankenhaus konnte er Gesichter erkennen, die vor Stolz strahlten: al-Juzjani, den Pfleger Rumi, den Bibliothekar Jussuf, den Hadschi Davout Hosein, sogar Ibn Sina. Als er den alten Mann sah, eilte sein Blick sofort zum Dach des Krankenhauses, und er sah, daß sie zurückgekommen war, und er wußte, daß sie der wahre Preis sein würde, wenn er wieder mit ihr allein war. Aber während der zweiten Hälfte der Runde begannen seine größten Schwierigkeiten. Er ließ sich oft Wasser reichen und goß es sich über den Kopf. Aber die Ermüdung machte ihn unaufmerksam, und etwas Wasser spritzte auf seinen linken Schuh, wo das feuchte Leder fast sofort die gereizte Haut an seinem Fuß aufschürfte. Vielleicht hatte dies eine winzige Änderung in seinem Schritt zur Folge, denn bald bekam er einen Krampf in der rechten Kniesehne. Alles wurde schwerer. Er behielt seine Geschwindigkeit bei, doch seine Füße verwandelten sich in Steine, der Köcher mit den Pfeilen schlug bei jedem Schritt schwer auf seinen Rücken, und sogar das Säckchen mit den Haarlocken stieß beim Laufen merklich gegen seine Brust. Er goß sich öfter Wasser über den Kopf und fühlte, wie er immer schwächer wurde.
    Aber die Menschen am Straßenrand hatte ein seltsames Fieber ergriffen. Jeder war zu Karim Harun geworden.
    Frauen schrien, wenn er vorbeirannte, Männer legten tausend Gelübde ab, lobten ihn lautstark, riefen Allah an, flehten zum Propheten und zu den zwölf gemarterten Imamen. Sie erwarteten ihn jubelnd, besprengten die Strecke mit Wasser, bevor er kam, streuten ihm Blumen auf den Weg, liefen an seiner Seite mit, fächelten ihm Luft zu oder spritzten ihm parfümiertes Wasser ins Gesicht, auf Schenkel, Arme und Beine. Er spürte, wie sie sein Blut und seine Knochen aktivierten, und wurde von ihrem Feuer angesteckt. Sein Schritt wurde wieder kraftvoller und sicherer. Seine Füße hoben und senkten sich gleichmäßig. Er behielt das Tempo bei, doch jetzt wich er dem Schmerz nicht aus, sondern kompensierte die erstickende Ermüdung, indem er sich auf den Schmerz in seiner Seite, den Schmerz in seinen Füßen, den Schmerz in seinen Beinen konzentrierte.
    Als er den elften Pfeil zu sich nahm, begann die Sonne hinter den Hügeln zu verschwinden und nahm die Form einer halben Münze an. Er lief im schwächer werdenden Licht, es war sein letzter Tanz, die erste kurze Steigung hinauf, das steile Gefalle zur Allee der tausend Gärten hinunter, über den ebenen Teil und dann die lange Steigung mit pochendem Herzen hinauf.
    Der Schmerz nahm bei jeder Reaktion ab, während er weiterlief. Doch die Füße, die er nicht mehr spürte, hoben und senkten sich weiter, trieben ihn vorwärts, klapp-klapp-klapp.
    Diesmal schaute am maidan niemand die Darbietungen an, aber Karim hörte weder das Gebrüll, noch sah er die Leute. Er lief in seiner lautlosen Welt dem Ende eines dahinschwindenden Tages entgegen. Als er wieder auf die Allee der tausend Gärten kam, sah er hinter den Hügeln ein formloses, erlöschendes rotes Licht. Er hatte das Gefühl, daß er sich ganz langsam, völlig langsam bewegte, über den flachen feil und den Hügel hinauf - den letzten Hügel, den er erklimmen mußte.
    Er lief bergab. Das war die gefährlichste Strecke, denn wenn seine gefühllosen Beine ihn zum Stolpern und Stürzen brachten, würde er sich nicht mehr erheben können.
    Als er einbog und durch die Tore des Paradieses kam, war die Sonne fort. Er sah

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