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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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schildern.
    Rob zitierte aus Rhazes' Abhandlung >Al-Hawi< und wies daraufhin, daß die Frühsymptome von Pocken Fieber und Rückenschmerzen sind, während bei Masern das Fieber höher ist und es zu deutlicher geistiger Erschöpfung kommt. Er zitierte Ibn Sina, als säße der Arzt nicht vor ihm, weil in Buch vier von >Der Kanon der Medizin< darauf hingewiesen werde, daß bei Masern der Ausschlag für gewöhnlich auf einmal erscheint, während bei Pocken der Ausschlag nach und nach auftritt. Er war ruhig und unerschütterlich und versuchte nicht, seine Erfahrung mit der Pest ins Spiel zu bringen, was ein unbedeutenderer Mann vielleicht getan hätte. Ibn Sina wußte, daß Rob ein würdiger Kandidat war; doch unter den Prüfern wußten nur er und al-Juzjani, welch ungeheure Eeistung dieser Mann in den letzten drei Jahren vollbracht hatte.
    »Wie geht Ihr vor, wenn Ihr ein gebrochenes Knie behandeln müßt?« fragte al-Juzjani.
    »Wenn das Bein gerade ist, muß man es stillegen, indem man es zwischen zwei starre Schienen bindet. Wenn es verbogen ist, hat Hakim Jalal-al-Din eine Methode, es zu schienen, erdacht, die nicht nur beim Knie, sondern auch bei einem gebrochenen oder verrenkten Ellbogen anwendbar ist.« Neben dem Besucher aus Bagdad lagen Papier, Tinte und Feder, und der Kandidat ging zu diesen Materialien. »Ich kann ein Glied zeichnen, so daß Ihr die Anordnung der Schiene sehen könnt«, schlug er vor.
    Ibn Sina war entsetzt. Wenn auch der Dhimmi ein Europäer war, mußte er doch wissen, daß jemand, der das Abbild einer menschlichen Gestalt im ganzen oder teilweise zeichnet, im heißesten Höllenfeuer brennen muß. Es war für einen strenggläubigen Mohammedaner eine Sünde und eine Gesetzesübertretung, ein solches Bild auch nur anzuschauen. Da der mullah und Imam Jussef anwesend waren, würde der Künstler, der Gott verhöhnte und ihre Moral verdarb, indem er einen Menschen zeichnete, vor ein islamisches Gericht gestellt und nie zum hakim ernannt werden.
    Die Prüfer ließen die verschiedensten Gefühlsregungen erkennen. Al-Juzjanis Gesicht zeigte tiefes Bedauern, um Ibn Saburs Mund zitterte ein leichtes Lächeln, Imam Jussef war verwirrt und der mullah bereits zornig.
    Die Feder flog zwischen Tintenfaß und Papier hin und her. Sie kratzte rasch über das Papier, und bald war alles zu spät: Die Zeichnung war fertig. Rob reichte sie Ibn Sabur, und der Gelehrte aus Bagdad musterte sie ungläubig. Als er sie an al-Juzjani weitergab, konnte der Chirurg ein Grinsen nicht unterdrücken.
    Es dauerte lange, bis die Zeichnung Ibn Sina erreichte, aber als er das Papier endlich erhielt, sah er, daß das abgebildete Glied ein Ast war. Zweifellos der gebogene Zweig eines Aprikosenbaumes, denn er trug Blätter.
    Raffinierterweise nahm ein Knorren die Stelle des verletzten Knies ein, und die Enden der Schiene waren weit unterhalb und oberhalb des Knorrens an dem Ast festgebunden. Über die Schiene wurde keine weitere Frage gestellt. Ibn Sina sah Jesse an und achtete darauf, seine Erleichterung ebenso zu verbergen wie seine Zuneigung.
    Es bereitete ihm großes Vergnügen, das Gesicht des Besuchers aus Bagdad zu betrachten. Er lehnte sich zurück und begann seinem Studenten die interessanteste philosophische Frage zu stellen, die er formulieren konnte, denn er war davon überzeugt, daß der maristan von Isfahan es sich leisten konnte, etwas dicker aufzutragen.

    Es hatte Rob einen gewaltigen Schock versetzt, als er in Musa Ibn Abbas den persönlichen Gehilfen des Großwesirs erkannte, der sich heimlich mit dem Gesandten der Seldschuken getroffen hatte. Aber ihm fiel schnell ein, daß man ihn bei dieser Gelegenheit nicht bemerkt hatte, weshalb die Anwesenheit des mullahs im Prüfungskomitee keine besondere Bedrohung darstellte.
    Als die Prüfung zu Ende war, begab Rob sich geradewegs in jenen Flügel des maristan , in dem die chirurgischen Patienten untergebracht waren, denn er und Mirdin waren sich darin einig, daß es ihnen zu schwer fallen würde, gemeinsam untätig zu warten, bis sie die Ergebnisse der Prüfung erfuhren. Jeder wollte die Zeit lieber mit Arbeit ausfüllen, und so stürzte sich Rob auf alle möglichen Arbeiten, untersuchte Patienten, wechselte Verbände, entfernte Nähte - all die einfachen Verrichtungen, an die er sich gewöhnt hatte. Die Zeit verging, doch es kam keine Nachricht. Dann endlich betrat Jalal-al-Din den Flügel, was bedeuten mußte, daß die Prüfungskommission sich aufgelöst hatte. Rob

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