Medicus 01 - Der Medicus
hätte gern gefragt, ob Jalal das Ergebnis kannte, brachte es aber nicht über sich. Am vorhergehenden Tag hatten sie gemeinsam einen Hirten zusammengeflickt, den ein Stier auf die Hörner genommen hatte. Rob hatte die zerrissenen Muskeln und das Fleisch an Schulter und Arm in die richtige Lage gebracht und genäht, und Jalal hatte die Brüche eingerichtet und geschient. Jalal bemängelte jetzt, daß die dicken Verbände neben den Schienen unförmig wirkten. »Kann man die Verbände nicht abnehmen?«
Rob wunderte sich, denn Jalal sollte es besser wissen. »Es ist zu früh.« Jalal zuckte mit den Achseln, blickte Rob freundlich an und lächelte. »Es wird wohl so sein, wie Ihr sagt, Hakim«, sagte er und verließ das Zimmer.
So erfuhr Rob das Ereignis. Es machte ihn schwindlig, so daß er eine Zeitlang wie vom Donner gerührt dastand.
Schließlich wurde er von seinen Dienstpflichten geweckt: Er mußte noch vier Kranke untersuchen. Er machte weiter und zwang sich zur Sorgfalt, wie es einem guten Arzt anstand.
Als jedoch der letzte Patient behandelt worden war, überließ er sich wieder seinen Gefühlen, der reinsten Freude seines Lebens. Fast taumelnd lief er nach Hause, um Mary die gute Nachricht zu bringen.
Der Befehl
Rob war sechs Tage vor seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag hakim geworden, und das Hochgefühl hielt wochenlang an. Er war froh, daß Mirdin nicht vorschlug, ihren Erfolg auf den maidans zu feiern. Statt dessen kamen die beiden Familien in Askaris Haus zusammen und genossen gemeinsam das Abendessen.
Rob und Mirdin gingen zusammen zum Schneider, um sich das schwarze Ärztegewand und den Umhang anmessen zu lassen. »Wirst du jetzt nach Masqat zurückkehren?« fragte Rob seinen Freund.
»Ich werde noch ein paar Monate hierbleiben, denn es gibt noch einiges, was ich im khasanat-al-sharaf lernen muß. Und du? Wann wirst du nach Europa reisen?«
»Mary kann während der Schwangerschaft nicht reisen. Wir warten am besten, bis das Kind geboren und kräftig genug ist, um die Strapazen zu überstehen.« Er lächelte. »Deine Familie wird in Masqat feiern, wenn ihr Medicus heimkommt. Hast du ihnen mitgeteilt, daß der Schah eine große Perle von ihnen kaufen will?« Mirdin schüttelte den Kopf. »Meine Verwandten klappern die Dörfer der Perlenfischer ab und kaufen winzige Zuchtperlen. Die verkaufen sie meßbecherweise an Händler, die sie weiterverkaufen, damit mit ihnen Kleider bestickt werden. Meinen Verwandten würde es schwerfallen, den Betrag für eine große Perle aufzubringen. Und sie wären gar nicht darauf erpicht, mit dem Schah Geschäfte zu machen, denn Herrscher sind selten bereit, für die großen Perlen, die sie so lieben, anständig zu zahlen. Ich hoffe nur, daß Alã Shahansha das >große Glück< vergessen hat, das er für meine Verwandten vorgesehen hat.«
»Gestern abend haben Mitglieder des Hofs nach dir gefragt und dich vermißt«, beschwerte sich Alã Shahansha .
»Ich habe eine schwerkranke Frau behandelt«, antwortete Karim.
»Es gibt auch kranke Menschen an meinem Hof, die deine Weisheit brauchen«, wandte Alã verdrießlich ein.
»Ja, Majestät.«
Alã hatte deutlich gemacht, daß Karim die Gunst des Thrones besaß, aber Karim hatte bereits genug von den Mitgliedern der adeligen Familien, die oft mit eingebildeten Leiden zu ihm kamen, und ihm fehlten das geschäftige Treiben und die echte Arbeit im manstan, wo er sich immer als Arzt nützlich machen konnte, statt als Aushängeschild zu dienen.
»Ich schmiede Pläne, Karim«, sagte der Schah gerade. »Ich schaffe die Voraussetzungen für große Ereignisse.«
»Möge Allah ihnen gewogen sein!«
»Du mußt deine Freunde kommen lassen, die beiden Juden. Ich möchte mit euch dreien sprechen.«
»Ja, Majestät.«
Am übernächsten Morgen wurden Rob und Mirdin aufgefordert, mit dem Schah auszureiten. Dies stellte für die beiden eine Gelegenheit dar, mit Karim zusammenzusein, der in letzter Zeit von Alã voll in Anspruch genommen wurde. In den Stallungen des Hauses des Paradieses erzählten die jungen Ärzte zu Karims Vergnügen wieder von ihren Prüfungen, und als der Schah eintraf, bestiegen sie die Pferde und ritten hinter ihm hinaus aufs Land.
Der Ausritt hatte eine bereits vertraute Routine. Sie speisten gut und sprachen belangloses Zeug, bis alle vier im heißen Wasser des Teiches in der Höhle saßen und Wein tranken.
Hier erzählte ihnen Alã ruhig, daß er in fünf Tagen mit einem großen Stoßtrupp von Isfahan
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