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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Jahre alt gewesen war.

    Eines Morgens wurde ein Mädchen namens Sitara von ihrem Vater einem Beduinen-Zeltmacher, in den maristan gebracht. Sie war sehr krank, litt an Übelkeit und Brechreiz und verspürte heftige Schmerzen im rechten unteren Teil ihres harten Bauches. Rob wußte, woran sie litt, hatte aber keine Ahnung, wie er die Seitenkrankheit behandeln sollte. Das Mädchen stöhnte und konnte kaum antworten, aber er befragte sie eingehend und suchte von ihr etwas zu erfahren, das ihm weiterhelfen könnte.
    Er gab ihr Abführmittel, versuchte es mit heißen Packungen und kalten Kompressen und erzählte an diesem Abend auch seiner Frau von dem Beduinenmädchen. Er ersuchte Mary, für sie zu beten. Mary belastete der Gedanke, daß ein so junges Mädchen an der Krankheit litt, die James Geikie Cullen befallen hatte. Er erinnerte sie auch an die Tatsache, daß ihr Vater in einem Grab im Ahmads wadi lag, das niemand besuchte.
    Am nächsten Morgen ließ Rob das Beduinenmädchen zur Ader, gab ihr Drogen und Krauter, doch alles, was er auch versuchte, blieb erfolglos. Sie fieberte, ihre Augen wurden glasig, und sie welkte dahin wie ein vom Frost überraschtes Blatt. Am dritten Tag starb sie. Rob überdachte die Stationen ihres kurzen Lebens gewissenhaft. Sie war gesund gewesen, bis diese Reihe von schmerzhaften Anfällen sie getötet hatte. Eine zwölfjährige Jungfrau, die erst vor kurzem ihre erste Monatsblutung gehabt hatte. Was hatte sie mit jenem kleinen Knaben und Robs in den besten Jahren stehendem Schwiegervater gemein? Ihm fiel nichts auf. Doch alle drei waren auf genau die gleiche Weise ums Leben gekommen.

    Der Bruch zwischen Alã und seinem Großwesir, dem Imam Qandrasseh, wurde bei der Audienz des Schahs überdeutlich. Der Imam saß wie gewöhnlich auf dem kleineren Thron zu Alãs rechter Hand, aber er wandte sich mit so kalter Höflichkeit an den Schah, daß seine Einstellung allen Anwesenden klar wurde.
    An diesem Abend saß Rob bei Ibn Sina, und sie spielten das Spiel des Schahs. Es war mehr eine Lektion als ein Kampf, wie ein Spiel zwischen einem Erwachsenen und einem Kind. »Menschen versammeln sich auf den Straßen und maidans , sie tuscheln miteinander«, berichtete Rob.
    »Sie werden besorgt und unruhig, wenn die Priester Allahs mit dem Herrn des Hauses des Paradieses im Streit liegen, denn sie befürchten, daß dieser Streit die Welt vernichten wird.« Ibn Sina schlug mit seinem Reiter einen rukh . »Es wird vorbeigehen. Es geht immer vorbei, und jene, die Glück haben, überleben.«
    Eine Zeitlang spielten sie schweigend, dann berichtete Rob Ibn Sina vom Tod des Beduinenmädchens. Er schilderte die Symptome und beschrieb die beiden anderen Fälle, die ihn quälten. Ibn Sina seufzte. Aber er hatte keine Erklärung für den Tod des Mädchens, sondern wechselte das Thema, indem er Neuigkeiten vom Hof erzählte. Eine königliche Expedition sollte nach Indien geschickt werden. Diesmal handelte es sich um keinen Überfall, sondern Kaufleute hatten Vollmachten vom Schah erhalten, indischen Stahl oder das Erz zu kaufen, aus dem man ihn schmolz, denn Dhan Vangalil besaß längst keine Vorräte mehr, um die gemusterten blauen Klingen zu schmieden, die Alã so hoch schätzte.
    »Er hat ihnen aufgetragen, nicht ohne eine schwerbeladene Karawane mit Erz oder hartem Stahl zurückzukommen, und wenn sie bis ans Ende der Seidenstraße ziehen müßten.«
    »Was liegt am Ende der Seidenstraße?« fragte Rob. »Chung-Kuo. Ein gewaltiges Land.«
    »Und dahinter?«
    Ibn Sina hob die Schultern. »Wasser. Meere.«
    »Reisende haben mir erzählt, daß die Erde eine flache Scheibe und von Feuer umgeben ist, und daß man sich nur so weit vorwagen kann, daß man nicht ins Feuer fällt; das sei die Hölle.«
    »Geschwafel von Reisenden«, wehrte Ibn Sina verächtlich ab. »Es ist nicht wahr. Ich habe gelesen, daß es außerhalb der bewohnten Erde nur Salz und Sand gibt wie in der Dasht-i-Kavir. Es steht auch geschrieben, daß ein großer Teil der Erde aus Eis besteht.« Er blickte Rob nachdenklich an. »Was befindet sich hinter Eurem Heimatland?«
    »England ist eine Insel. Dahinter liegt ein Ozean, und dann kommt Dänemark, das Land der Nordmenschen, aus dem unser König kam. Dahinter soll ein Land aus Eis liegen.«
    »Und wenn man von Persien nach Norden reist, liegt jenseits von Ghazna das Land der Reußen - und dahinter erstreckt sich ein Land aus Eis. Ja, ich glaube, es ist wahr, daß ein großer Teil der Erde mit Eis

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