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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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angespannt und starr sind. Der Zustand wird von einem Fortsatz des Blinddarms hervorgerufen, der Ähnlichkeit mit einem dicken, rosa Wurm besitzt. Wenn dieses Organ entzündet oder infiziert ist, färbt es sich rot und dann schwarz, füllt sich mit Eiter und platzt schließlich, wobei sich sein Inhalt in die Bauchhöhle ergießt. In diesem Fall tritt der Tod rasch ein, für gewöhnlich innerhalb eines Zeitraums von einer halben Stunde bis zu sechsunddreißig Stunden nach dem Einsetzen des hohen Fiebers.
    Er sezierte und untersuchte nur jene Teile des Körpers, die später vom Leichentuch bedeckt wurden. Das schloß die Füße und den Kopf aus, was ihn sehr unzufrieden machte, weil er sich nicht mehr damit abfinden mochte, das Gehirn eines Schweines zu untersuchen. Rob arbeitete geduldig. Er legte die Muskeln wie Draht und wie Seilstränge bloß und skizzierte sie. Manche begannen und endeten an einem Band, bei manchen waren die Muskelbänder flach, bei anderen rund, wieder andere hatten nur an einem Ende ein Band, und manche komplizierte Muskeln besaßen zwei Bänder, deren besonderer Wert offensichtlich darin bestand, daß im Falle einer Verletzung des einen das andere seine Aufgabe übernahm. Er fertigte Skizzen vom Aufbau, von der Form und Lage der Knochen und der Gelenke an, wobei er erkannte, daß solche anatomische Zeichnungen für die Behandlung von Verstauchungen und Brüchen von unschätzbarem Wert wären. Wenn er mit seiner Arbeit fertig war, hüllte er die Leichen ein, trug sie zurück und nahm seine Zeichnungen mit. Er hatte nicht mehr das Gefühl, in den gähnenden Abgrund seiner Verdammung zu blicken, aber ihm war immer bewußt, daß ihn ein schreckliches Ende erwartete, wenn er entdeckt wurde. Er hatte guten Grund für seine Furcht. Eines Morgens trug er den Körper einer älteren Frau, die erst vor kurzem gestorben war, aus dem Leichenhaus. Vor der Tür sah er plötzlich einen Pfleger auf sich zukommen, der den Leichnam eines Mannes trug. Der Kopf der Frau baumelte, und ein Arm pendelte hin und her, als Rob stehenblieb und den Pfleger wortlos ansah, der höflich den Kopf beugte. »Soll ich Euch helfen, Hakimf'* »Sie ist nicht schwer.«
    Er trat vor dem Pfleger ein, und sie legten die beiden Leichen nebeneinander, dann verließen sie gemeinsam das Leichenhaus. Das Schwein, das er sezierte, hatte innerhalb von nur vier Tagen einen Zustand der Zersetzung erreicht, der die Entfernung des Kadavers notwendig machte. Doch wenn er den menschlichen Magen und die Därme öffnete, setzte er viel 'schlimmere Gerüche frei als den unangenehm süßlichen Geruch von verwesendem Schweinefleisch. Trotz Seife und Wasser war der Raum von dem Geruch durchtränkt. Eines Morgens erstand er ein neues Schwein. Am selben Nachmittag ging er an Qasims Kammer vorbei und entdeckte den haäschi Davout Hosein, der an der versperrten Tür rüttelte. »Warum ist sie versperrt? Was ist da drinnen?«
    »Es ist der Raum, in dem ich ein Schwein seziere«, antwortete Rob ruhig.
    Der stellvertretende Direktor der Schule blickte ihn angewidert an. In letzter Zeit betrachtete Davout Hosein alles mit äußerstem Mißtrauen, denn er hatte von den mullahs den Auftrag erhalten, im maristan und in der madrassa nach Verletzungen der islamischen Gesetze zu forschen.
    Den ganzen Tag über bemerkte Rob Davout Hosein mehrmals in seiner Nähe. Am Abend ging er früh nach Hause. Als er am nächsten Morgen ins Krankenhaus kam, sah er, daß das Schloß an der Tür der Kammer aufgebrochen worden war. Drinnen lagen die Gegenstände da, wie er sie zurückgelassen hatte, aber nicht genauso. Das zugedeckte Schwein lag auf dem Tisch. Robs Instrumente waren durcheinandergebracht worden, doch es fehlte keines. Sie hatten nichts gefunden, dessen sie ihn bezichtigen konnten, und er konnte sich im Augenblick sicher fühlen. Aber die Einmischung führte zu unangenehmen Folgerungen: Er wußte, daß man ihn früher oder später überraschen würde. Doch angesichts der wichtigen Erkenntnisse und wunderbaren Zusammenhänge war er nicht bereit aufzuhören.
    Er wartete zwei Tage, während der ihn der hadschi Hosein in Ruhe ließ. Dann war ein alter Mann im Krankenhaus gestorben, während Rob sich mit ihm unterhalten hatte. In dieser Nacht öffnete er den Körper, um zu sehen, was einen so friedlichen Tod bewirkt hatte, und stellte fest, daß die Arterie, die das Herz und die unteren Extremitäten versorgte, vertrocknet und zusammengeschrumpft wie ein welkes Blatt war. In

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