Medicus 01 - Der Medicus
Offizieren nach Isfahan hinein. Niemand hielt ihn auf. Alãs Heer war nach Hamadhãn gezogen, und die Tore wurden von einer Handvoll älterer Soldaten bewacht, die beim Herannahen des fremden Heeres verschwunden waren, so daß Sultan Masũd — um ihn handelte es sich - unangefochten in die Stadt einritt. Vor der Freitagsmoschee stiegen die Afghanen ab und traten ein, wobei sie sich der Gemeinde der Gläubigen beim dritten Gebet anschlössen, um sich dann mehrere Stunden lang mit dem Imam Musa Ibn Abbas und seinen mullahs zurückzuziehen. Die meisten Einwohner von Isfahan hatten Masũd nicht gesehen, aber als sich die Anwesenheit des Sultans herumsprach, waren Rob und al-Juzjani unter jener Menge, die auf die Mauer hinaufstieg und auf die Soldaten von Ghazna hinunterblickte. Es waren kräftige Männer in zerlumpten Hosen und langen, losen Hemden, die diszipliniert und ohne Gewalttätigkeiten warteten, während ihr Anführer sich in der Moschee aufhielt. Rob fragte sich, ob sich jener Afghane unter ihnen befand, der sich beim chatir so wacker gegen Karim gehalten hatte.
»Was kann Masũd von den mullahs wollen?« fragte er al-Juzjam. »Zweifellos haben ihm seine Spione von Alãs Schwierigkeiten mit der Geistlichkeit berichtet. Er hat bestimmt vor, bald hier zu herrschen, und er verhandelt deshalb mit den mullahs , um sich ihres Segens und Gehorsams zu versichern.«
Vermutlich war es so, denn Masũd und seine Offiziere kehrten bald zu ihren Truppen zurück, und es kam zu keiner Plünderung. Der Sultan war jung, kaum älter als ein Knabe, aber er und Alã hätten verwandt sein können: Sie hatten das gleiche stolze, grausame Raubvogelgesicht. Er nahm den sauberen weißen Turban ab, der dann sorgfältig verstaut wurde, und setzte einen schmutzigen schwarzen Turban auf, bevor er sich wieder in Marsch setzte.
Die Afghanen ritten nach Norden, sie folgten der Route von Alãs Heer.
»Der Schah hat sich geirrt, als er annahm, sie würden über Hamadhãn kommen.«
»Ich glaube, daß sich die Hauptmacht aus Ghazna bereits in Hamadhãn befindet«, sagte al-Juzjani langsam.
»Jedenfalls macht es keinen Unterschied, ob Alã Masũd besiegt oder Masũd Alã. Wenn der Imam Qandrasseh wirklich die Seldschuken gegen Isfahan führen will, werden letzten Endes weder Masũd noch Alã die Oberhand behalten. Die Seldschuken sind schreckliche Krieger und so zahlreich wie der Sand am Meer.«
»Was wird aus dem maristan , wenn die Seldschuken kommen oder Masũd die Stadt einnimmt?«
Al-Juzjani zuckte mit den Achseln. »Das Krankenhaus wird wohl für einige Zeit geschlossen werden, und wir werden uns zunächst alle verstecken müssen. Dann werden wir aus unseren Löchern hervorkriechen, und das Leben wird weitergehen wie zuvor. Ich habe mit unserem Meister einem halben Dutzend Königen gedient. Monarchen kommen und gehen, aber die Welt braucht weiterhin Ärzte.«
Rob bat Mary um Geld für das Buch, und >Der Kanon der Medizin< wurde sein Eigentum. Wenn er das Exemplar in der Hand hielt, war er von Ehrfurcht erfüllt, doch er verbrachte nicht allzuviel Zeit mit dem Lesen, denn Qasims Kammer zog ihn magisch an. Er sezierte mehrere Nächte in der Woche und begann, sein Zeichenmaterial zu verwenden. Er wollte noch mehr tun, war aber dazu nicht imstande, weil er ein Mindestmaß an Schlaf brauchte, um während des Tages im maristan zuverlässig zu sein.
In einer der Leichen, die er untersuchte - es handelte sich um einen jungen Mann, der bei einer Wirtshausrauferei erstochen worden war-, fand er den kleinen Wurmfortsatz vergrößert. Die Oberfläche war gerötet und rauh, und er nahm an, daß er das früheste Stadium der Seitenkrankheit vor sich hatte, während dem der Kranke die ersten, zeitweise auftretenden stechenden Schmerzen empfand. Nun konnte er sich ein Bild vom Verlauf der Krankheit vom Beginn bis zum Tod machen, und er schrieb in sein Patientenbuch:
Die perforierende Seitenkrankheit wurde bei sechs Patienten beobachtet, die alle gestorben sind. Das erste deutliche Symptom der Krankheit ist ein plötzlich eintretender Schmerz im Unterleib. Der Schmerz ist für gewöhnlich intensiv und in seltenen Fällen schwächer. Gelegentlich wird er von Schüttelfrost, aber öfter von Übelkeit und Erbrechen begleitet. Dem Schmerz im Unterleib folgt Fieber als nächstes gleichbleibendes Symptom. Beim Abtasten des rechten Unterbauches ist eine abgegrenzte Resistenz spürbar, wobei das ganze Gebiet oft druckempfindlich ist und die Bauchmuskeln
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