Medicus 01 - Der Medicus
er, daß sich Knuts Nachfolger Harold Harefoot als schwacher König erwiesen hatte. Harold hatte sich rasch zu Tode gegessen und getrunken, und Harthacnut, einer seiner Halbbrüder, war ihm nach der Rückkehr von einem Krieg in Dänemark auf dem Thron gefolgt. Harthacnut hatte nur zwei Jahre regiert, als er eines Tages bei einer Hochzeitsfeier tot umfiel, und so war endlich Edward an der Reihe gewesen. Inzwischen hatte dieser Godwins Tochter geheiratet, und auch er wurde von dem sächsischen Grafen beherrscht. Aber das Volk mochte ihn.
»Edward ist ein guter König«, versicherte George Markham. »Er hat eine gehörige Flotte von schwarzen Schiffen gebaut.« Rob nickte. »Ich habe sie gesehen. Sind sie schnell?«
»Schnell genug, um die Meeresstraßen von Seeräubern freizuhalten.« Die königlichen Geschichten, die mit Winshaustratsch und Erinnerungen ausgeschmückt wurden, sorgten für durstige Kehlen. Diese wollten geschmiert sein, und sie verlangten auch nach vielen Trinksprüchen auf die toten königlichen Brüder und vor allem auf den noch lebenden Edward, den Monarchen des Reiches. So vergaß Rob an etlichen Abenden, daß er keinen Alkohol vertrug, und er schwankte vom >Fox< zu dem Haus in der Thames Street. Mary fiel dann die undankbare Aufgabe zu, einen mürrischen Trunkenbold zu entkleiden und zu Bett zu bringen. Der traurige Zug in ihrem Gesicht vertiefte sich.
»Liebster, laß uns von hier wegziehen«, bat sie ihn eines Tages. »Warum? Wohin sollen wir denn gehen?«
»Wir könnten in Kilmarnock leben. Dort liegt mein Besitz, und dort leben meine Verwandten, die sich freuen würden, meinen Mann und meine Söhne kennenzulernen.«
»Wir müssen es mit London noch einmal probieren.«
Er war kein Narr und gelobte sich, enthaltsamer zu sein, wenn er >The Fox< aufsuchte, und auch weniger oft hinzugehen. Er verschwieg ihr aber, daß ihn mit London eine Vision verband, die Stadt war für ihn viel mehr als nur eine Gelegenheit, als >Blutegel< zu leben. Er hatte in Persien Erfahrungen gesammelt, die nun sein Eigentum waren, ein Wissen, das hier nicht bekannt war. Er sehnte sich nach dem Austausch medizinischer Erkenntnisse, den es in Isfahan gegeben hatte. Dazu brauchte er aber ein Krankenhaus, und London schien ihm ein ausgezeichneter Standort für eine Einrichtung wie den maristan zu sein.
In diesem Jahr ging der lange, winterlich kalte Frühling in einen feuchten Sommer über. Jeden Morgen verbarg dichter Nebel das Hafenviertel. An den Tagen, an denen es nicht regnete, durchbrach am Vormittag die Sonne die graue Düsternis, und die Stadt erwachte sofort zu neuem Leben. Diesen Augenblick der Wiederkehr der Sonne nutzte Rob am liebsten zu einem Spaziergang, und an einem besonders freundlichen Tag löste sich der Nebel auf, als er an einem Handelskai vorbeikam, auf dem eine große Zahl Leibeigener Eisenbarren zur Verschiffung aufstapelte.
Der Fahrer eines Rollwagens trieb seine schmutzigen Schimmel zu weit und zu schnell rückwärts, so daß der schwere Wagen drohend gegen den Stapel prallte. Der oberste Eisenbarren setzte sich klirrend in Bewegung, hing einen Augenblick über dem Rand und glitt dann, gefolgt von zwei weiteren, herunter.
Jemand schrie warnend, die Leute stoben hastig auseinander, aber zwei Leibeigene wurden von anderen Menschen behindert. Sie stürzten, und ein Barren fiel mit seinem vollen Gewicht auf einen von ihnen, so daß er auf der Stelle tot war.
Das Ende eines anderen Barrens traf den rechten Unterschenkel des zweiten Mannes, und auf seinen Aufschrei hin griff Rob ein. »Hier, hebt den Barren herunter! Schnell und vorsichtig!« befahl er, und ein halbes Dutzend Leibeigener schafften den Eisenbarren weg. Der Verletzte schrie nicht mehr, als man ihn wegtrug, denn er hatte das Bewußtsein verloren. Das war auch besser so: Sein Fuß und Knöchel waren entsetzlich verstümmelt, und Rob sah keine Möglichkeit, die Gliedmaßen wiederherzustellen. Er schickte einen Leibeigenen in die Thames Street, damit er seine chirurgischen Instrumente von Mary holte. Während der Verwundete bewußtlos am Boden lag, machte er einen Einschnitt oberhalb der Verletzung und begann, die Haut abzuheben. Er stellte einen Lappen her, und dann durchtrennte er das Fleisch und den Muskel. »Was zum Teufel treibt Ihr da?«
Er blickte auf und bemühte sich, keine Miene zu verziehen, denn neben ihm stand ein Mann, den er zuletzt als Jesse ben Benjamin in seinem Haus in Persien gesehen hatte. »Ich behandle einen
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