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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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er es neben der Eingangstür des Hauses an der Thames Street, damit alle sahen, daß es das Heim von Robert Jeremy Cole, Medicus, war.
    Zuerst fand es Mary angenehm, unter Briten zu leben und Englisch zu sprechen, obwohl sie mit ihren Kindern weiterhin Gälisch sprach, da sie wollte, daß sie die Sprache der Schotten beherrschten. Die Möglichkeit, in London einzukaufen, war berauschend. Sie fand eine Näherin und bestellte ein Kleid aus unaufdringlichem braunen Stoff: lang, mit Gürtel, hochgeschlossen und mit so losen Ärmeln, daß sie in verschwenderischen Falten herabfielen.
    Für Rob bestellte sie eine schöne graue Hose und einen Kittel. Obwohl er gegen diese Verschwendung protestierte, kaufte sie ihm zwei schwarze Arztgewänder, eines aus leichtem, ungefüttertem Stoff für den Sommer, das andere dicker und mit einer mit Fuchsfell verbrämten Kapuze. Er hatte seinen buschigen Bart zu einem Spitzbart zurechtgestutzt und kleidete sich westlich. Seit sie sich auf der Rückreise einer Karawane angeschlossen hatten, gab es keinen Jesse ben Benjamin mehr. An seiner Stelle reiste Robert Jeremy Cole, ein Engländer, der seine Familie nach Hause brachte.
    Die immer sparsame Mary hatte den Kaftan behalten und verwendete das Material, um daraus Kleidung für ihre Söhne zu schneidern. Rob James' abgelegte Sachen hob sie für Tarn auf, obwohl dies schwierig war, weil Rob James für sein Alter sehr groß war und Tarn etwas kleiner als die meisten Jungen, zumal er während ihrer Reise nach dem Westen schwer erkrankt war. In der Bischofsstadt Freising waren beide Kinder von einer schweren Halsentzündung mit tränenden Augen befallen worden. Sie bekamen so hohes Fieber, daß Mary die schreckliche Angst hatte, sie könne ihre Söhne verlieren. Die Kinder hatten tagelang gefiebert; bei Robert James war keine sichtbare Schädigung zurückgeblieben, aber die Krankheit hatte sich in Tams linkem Bein festgesetzt, das blaß wurde und leblos wirkte. Die Familie Cole war mit einer Karawane nach Freising gekommen, die bald weiterziehen sollte, und der Karawanenleiter erklärte, er könne die Genesung der Kinder nicht abwarten. »Geht zum Teufel«, hatte ihm Rob zugerufen, weil sein Sohn Pflege brauchte und diese auch erhalten sollte. Er machte Tarn feuchtwarme Umschläge auf das Bein und schlief so gut wie nie, um sie ständig zu wechseln. Er umfaßte das kleine Bein mit seinen großen Händen, bog das Knie und massierte die Muskeln immer wieder, drückte, knetete und rieb das Bein mit Bärenfett ein.
    Tarn erholte sich, aber nur langsam. Er hatte, ein Jahr bevor die Krankheit ihn befiel, zu gehen begonnen. Nun mußte er wieder kriechen und krabbeln, und als er diesmal die ersten Schritte wagte, geriet er aus dem Gleichgewicht, da das linke Bein ein wenig kürzer war als das rechte.
    Sie warteten in Freising beinahe zwölf Monate auf Tams Genesung und dann auf eine geeignete Karawane.
    Obwohl er die Ostfranken niemals lieben lernte, kam Rob so weit, daß er die ostfränkischen Eigenschaften etwas milder beurteilte. Trotz seiner Unkenntnis der Landessprache waren die Kranken zu ihm gekommen, um sich behandeln zu lassen, nachdem sie gesehen hatten, mit welcher Sorgfalt und Hingabe er sein eigenes Kind pflegte. Er hörte nie auf, sich um Tams Bein zu bemühen, und obwohl der Knabe beim Gehen manchmal seinen linken Fuß ein wenig nachzog, gehörte er in London zu den lebhaftesten Kindern.
    Die beiden Söhne fühlten sich in London wohler als ihre Mutter, denn sie konnte sich mit ihrer Umgebung nicht anfreunden. Sie fand das Wetter feucht und die Engländer kalt. Wenn sie auf den Markt ging, mußte sie sich davor hüten, in das lebhafte orientalische Feilschen zu verfallen, an das sie sich so sehr gewöhnt hatte. Die Leute waren hier im allgemeinen weniger freundlich, als sie erwartet hatte. Sogar Rob vermißte den blumigen Überschwang persischer Redegewandtheit. »Obwohl diese hübschen Schmeicheleien meist nicht ernst gemeint waren, waren sie doch sehr angenehm«, erinnerte er sich wehmütig. Den beiden kam London wie ein schwarzer Morast vor, in dem sie knöcheltief standen. Der Vergleich war nicht zufällig, denn die Stadt roch schlimmer als jeder Sumpf, den sie auf ihren Reisen gesehen hatten.
    Als sie Konstantinopel erreicht hatten und Mary sich wieder inmitten einer mehrheitlich christlichen Bevölkerung befand, hatte sie sich von einer Kirche in die nächste gestürzt, aber das hatte jetzt seinen Reiz verloren. Sie fand Londons

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