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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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ausgezeichnete Lektion.
    In Clavering mietete der Bader die Schmiede für einen Tag, und Rob lernte, wie man eiserne Lanzetten und Punktiernadeln herstellte. Es war eine Arbeit, die er in den nächsten Jahren noch in einem halben Dutzend Schmieden in ganz England wiederholen musste, bis sein Meister davon überzeugt war, dass er sie beherrschte.
    Die meisten Instrumente, die sie in Clavering herstellten, wollte der Bader nicht haben, er gestattete Rob jedoch widerwillig, eine kleine zweischneidige Lanzette als erstes Instrument eines eigenen Satzes chirurgischer Instrumente zu behalten: ein wichtiger Anfang. Während sie die Midlands verließen und in die Fens fuhren, lehrte ihn der Bader, welche Venen zum Aderlass geöffnet werden, wodurch er freilich traurige Erinnerungen an die letzten Lebenstage von Robs Vater heraufbeschwor.
    Manchmal stahl sich sein Vater in Robs Gedanken, denn seine Stimme begann so zu klingen wie die seines Erzeugers. Sie wurde tiefer, und er bekam Körperhaar. Es war noch nicht so dicht, wie es einmal werden würde, denn durch die Mitarbeit hinter dem Wandschirm war er mit dem Anblick unbekleideter Männer vertraut. Frauen blieben für ihn ein Mysterium, denn der Bader gebrauchte eine rätselhaft lächelnde, wollüstige Puppe, die sie Thelma nannten, auf deren nackter Gipsfigur weibliche Patienten sittsam die Körperstellen bezeichneten, wo ihr Leiden saß, so dass eine direkte Untersuchung nicht mehr nötig war. Es machte Rob zwar noch immer verlegen, in die Intimsphäre von Fremden einzudringen, doch er gewöhnte sich an die geschäftsmäßigen Fragen über gestörte Körperfunktionen. »Wann hattet Ihr Euren letzten Stuhl, Master?«
    »Mistress, wann ist Eure Monatsregel fällig?«
    Auf des Baders Rat hin ergriff Rob die Hände eines Patienten, sobald er hinter den Wandschirm trat.
    »Was fühlst du, wenn du ihre Finger angreifst?« fragte ihn der Bader eines Tages in Tisbury, als sie das Podium abbauten. »Manchmal fühle ich nichts.«
    Der Bader nickte. Er nahm eine der Bänke von Rob entgegen, verstaute sie im Wagen und kam mit gerunzelter Stirn zurück. »Aber manchmal ... ist da etwas ?« Rob nickte.
    »Was?« fragte der Bader aufgeregt. »Was fühlst du, Junge?« Doch er konnte es nicht erklären oder mit Worten beschreiben. Es war eine plötzliche Eingebung über die Lebenskraft des Kranken, als würde man in dunkle Brunnen blicken und fühlen, wieviel Leben in jedem enthalten ist.
    Der Bader nahm Robs Schweigen als Beweis dafür, dass er seiner Sache nicht sicher war. »Wir werden nach Hereford zurückkehren und nachsehen, ob der alte Mann noch lebt«, meinte er mit schlauem Lächeln.
    Er ärgerte sich, als Rob einverstanden war. »Wir können nicht zurückfahren, du Dummkopf!« schimpfte er.
    »Wenn er nämlich tatsächlich gestorben ist, stecken wir unseren Kopf freiwillig in die Schlinge.« Er spottete weiterhin oft und laut über >die Gabe<. Doch als Rob die Hände der Patienten nicht mehr ergreifen wollte, befahl er ihm, es zu tun. »Warum nicht? Ich bin doch ein vorsichtiger Geschäftsmann. Und es kostet ja nichts, an diese Einbildung zu glauben.«
    In Peterborough, nur ein paar Meilen, aber ein Leben von der Abtei entfernt, aus der er als Junge geflohen war, saß der Bader einen ganzen langen, regnerischen Augustabend allein im Wirtshaus und trank beständig und pausenlos.
    Um Mitternacht suchte ihn sein Lehrling. Rob fand ihn, als er den Weg entlang schwankte, und stützte ihn auf dem Rückweg zu ihrem Lager.
    »Bitte«, flüsterte der Bader ängstlich.
    Rob wunderte sich, als der Betrunkene beide Hände hob und sie ihm entgegenstreckte.
    »Ich bitte dich, um Christi willen«, wiederholte der Bader.
    Endlich verstand ihn Rob. Er ergriff die beiden Hände und blickte ihm in die Augen. Einen Augenblick später nickte Rob.
    Der Bader sank auf sein Bett. Er rülpste, drehte sich auf die Seite und verfiel in ruhigen Schlaf.

Im Norden
    In diesem Jahr gelang es dem Bader nicht rechtzeitig, in das Winterquartier nach Exmouth zu kommen, denn sie waren zu spät aufgebrochen, und als die Herbstblätter fielen, befanden sie sich in dem Dorf Gate Fulford in den Wäldern von York. Die Heide stand voll in der Blüte und erfüllte die kühle Luft mit ihrem Duft. Rob und der Bader folgten dem Polarstern, machten in den Dörfern an ihrem Weg halt, um sehr gute Geschäfte zu machen, und fuhren mit dem Wagen über den endlosen Teppich aus purpurnem Heidekraut, bis sie die Stadt Carlisle

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