Medicus 01 - Der Medicus
tun, was Euch nützt.«
Die langen Finger des rabbenu wühlten und kratzten in seinem Bart, während er überlegte. Schließlich gab er seine Entscheidung bekannt.
»Wann immer geschlachtetes Rindfleisch für nicht koscher erklärt wird«, übersetzte Simon, »werdet Ihr das Fleisch dem christlichen Fleischer in Gabrovo verkaufen. Und am Sabbat, wenn die Juden nicht arbeiten dürfen, werdet Ihr Euch um das Feuer in den Häusern kümmern.«
Rob zögerte. Der alte Jude sah ihn interessiert an, weil Robs Augen aufgeleuchtet hatten.
»Noch etwas?« murmelte Simon.
»Wenn die Juden am Sabbat nicht arbeiten dürfen, überantwortet er dann nicht meine Seele der Verdammnis, wenn er dafür sorgt, dass ich es tue?«
Der rabbenu lächelte, als Simon übersetzte.
»Er vertraut darauf, dass Ihr nicht danach strebt, ein Jude zu werden, Master Cole?«
Rob schüttelte den Kopf.
»Dann ist er sicher, dass Ihr ohne Bedenken am Sabbat arbeiten könnt, und er heißt Euch in Tryavna willkommen.«
Der rabbenu führte sie in den hinteren Teil eines großen Kuhstalls, wo Rob schlafen sollte. »Im Studierhaus gibt es Kerzen, aber hier im Stall dürfen wegen des trockenen Heus keine Kerzen angezündet werden«, teilte der rabbenu Rob streng durch Simon mit und hieß ihn auch gleich die Ställe ausmisten.
In dieser Nacht lag er auf dem Stroh, und seine Katze lag zu seinen Füßen wie eine Löwin, die ihn bewachte.
Mistress Buffington verließ ihn gelegentlich, um eine Maus zu jagen, kam aber immer wieder zurück. Der Stall war ein dunkler, feuchter Palast, den die großen Körper der Rinder angenehm erwärmten, und sobald Rob sich an das ewige Muhen und den süßlichen Gestank des Kuhmistes gewöhnt hatte, schlief er beruhigt ein.
Der Winter kam in Tryavna drei Tage nach Rob an. In der Nacht begann es zu schneien, und während der nächsten beiden Tage fielen abwechselnd windgepeitschte, harte Graupel und dicke Flocken, die so groß herabschwebten, dass sie aussahen wie Zuckerkonfekt. Als es aufhörte zu schneien, gab man Rob eine große hölzerne Schneeschaufel. Er schaffte die Schneewehen vor den Türen weg und trug dabei einen ledernen Judenhut, den er an einem Pflock im Stall gefunden hatte. Über ihm glitzerten die hohen Berge weiß in der Sonne, und die Arbeit in der kalten Luft machte ihn zuversichtlich. Als er mit dem Schaufeln fertig war, gab es keine andere Arbeit, und er konnte das Studierhaus aufsuchen. In das Holzhaus drang die Kälte ein, gegen die das Herdfeuer so unzureichend ankämpfte, dass die Leute oft vergaßen, es zu unterhalten. Die Juden saßen an rohen Tischen, studierten Stunde um Stunde und debattierten laut und manchmal erbittert. Sie nannten ihr Kauderwelsch loschen . Simon erklärte ihm, dass es sich um eine Mischung aus Hebräisch und Latein und ein paar Redewendungen aus den Ländern handelte, in denen sie reisten oder lebten. Es war eine für Disputanten geschaffene Sprache, und wenn sie gemeinsam studierten, warfen sie einander die Wörter an den Kopf.
»Worüber streiten sie denn?« fragte Rob verwundert. »Über die Gesetze.«
»Wo sind ihre Bücher?«
»Sie verwenden keine Bücher. Wer die Gesetze kennt, hat sie auswendig gelernt, wie er sie von seinen Lehrern gehört hat. Wer sie noch nicht auswendig kann, lernt sie, indem er zuhört. So war es immer. Es gibt natürlich auch das geschriebene Gesetz, aber es ist nur da, um zu Rate gezogen zu werden. Jeder Mann, der das mündliche Gesetz kennt, lehrt die Auslegung der Gesetze, die ihn sein Lehrer gelehrt hat, und es gibt eine Menge Auslegungen, weil es so viele verschiedene Lehrer gibt. Deshalb streiten sie. Jedes Mal, wenn sie debattieren, lernen sie ein bißchen mehr über das Gesetz.«
In Tryavna nannten sie ihn von Anfang an Mär Reuven, die hebräische Übersetzung von Master Robert. Mär Reuven, der Baderchirurg. Daß er Mär genannt wurde, unterschied ihn von ihnen, denn sie nannten einander Reh, ein Titel, der auf lobenswerte Gelehrsamkeit hinwies, aber unter dem eines rabbenu stand. In Tryavna gab es nur einen rabbenu .
Sie waren seltsame Leute und unterschieden sich von ihm durch ihr Aussehen wie durch ihre Bräuche. »Was ist mit seinem Haar los?« wurde Meier von Reb Joel Levski, dem Hirten, gefragt. Rob war der einzige im Studierhaus, der keine peot besaß, die rituellen Haarlocken, die sich neben jedem Ohr ringelten.
»Er weiß es nicht besser. Er ist ein goj , ein anderer«, erklärte ihm Meier. »Aber Simon hat mir
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