Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
»Sehr langsam zwar, aber wir wissen, dass er nicht ewig fortdauern kann. Viele Zeitungen machen sich für die Wahl von General Fremont zum Präsidenten stark. Sie sagen, Präsident Lincoln werde den Süden zu sanft behandeln, wenn der Frieden kommt. Sie sagen, es sei keine Zeit für Nachsicht und Verzeihen, sondern Zeit für Rache an der Bevölkerung der Südstaaten.« Er räusperte sich.
    »Lukas sagt: >Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!< Und Jesus sagt: >Wenn dein Feind hungert, dann gib ihm zu essen, und wenn ihn dürstet, gib ihm zu trinken !< Wir müssen die Sünden vergeben, die beide Seiten in diesem entsetzlichen Krieg begangen haben, und dafür beten, dass bald die Worte des Psalms wahr werden, dass Gnade und Wahrheit Hand in Hand gehen und Rechtschaffenheit und Frieden einander küssen. >Selig sind, die da Leid tragen - denn sie werden getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.« Er setzte sich hin, und wieder herrschte tiefe Stille. Eine Frau, die Shaman fast genau gegenübersaß, stand auf und sagte, sie bemühe sich darum, einem Menschen zu verzeihen, der ihrer Familie schlimmes Unrecht zugefügt habe. Sie wünsche sich, dass ihr Herz von Hass frei werde und sie Barmherzigkeit und verzeihende Liebe üben könne, doch sie liege mit sich selbst im Kampf, weil sie den Wunsch, zu verzeihen, nicht stark genug verspüre. Sie bat ihre Freunde zu beten, damit ihr die nötige Kraft gegeben werde. Als sie sich hinsetzte, stand eine andere Frau auf, die in der entgegengesetzten Ecke saß, und so konnte Shaman ihre Lippen nicht gut genug sehen, um zu verstehen, was sie sagte.
    Nach einer Weile ließ auch sie sich wieder nieder, und es herrschte Schweigen, bis ein Mann in der Nähe des Fensters sich erhob. Er war in den Zwanzigern und hatte ein ernstes Gesicht. Er sagte, er müsse eine wichtige Entscheidung fällen, die sich auf den Rest seines Lebens auswirken werde. »Ich brauche die Hilfe Gottes und die eurer Gebete«, sagte er und setzte sich.
    Danach meldete sich niemand mehr zu Wort. Die Zeit verging, und schließlich sah Shaman, wie George Cliburn seinem Nachbarn die Hand schüttelte. Das war das Zeichen für die Beendigung der Versammlung. Mehrere Leute in Shamans Nähe gaben ihm die Hand, und dann strebten alle dem Ausgang zu. Es war der merkwürdigste Gottesdienst gewesen, dem Shaman je beigewohnt hatte. Auf dem Rückweg zu Cliburns Haus war er sehr nachdenklich. »Wird von einem Quäker erwartet, dass er jedes Verbrechen vergibt? Und was ist mit der Befriedigung, wenn das Recht über das Böse siegt?«
    »Oh, wir glauben sehr wohl an die Gerechtigkeit«, antwortete Cliburn. »Aber wir glauben nicht an Rache und Gewalt.» Shaman wusste, dass sein Vater sich danach gesehnt hatte, Makwa-ikwas Tod zu rächen, und auch er wünschte es sich. »Würden Sie gewalttätig werden, wenn Sie miterlebten, wie jemand Ihre Mutter erschießt?« fragte er und war befremdet, als Cliburn kicherte. »Früher oder später stellt diese Frage jeder, der sich mit Gewaltlosigkeit beschäftigt. Meine Mutter ist schon lange tot, aber sollte ich jemals in eine ähnliche Situation kommen, werde ich darauf vertrauen, dass Gott mir den richtigen Weg weist. Schauen Sie, Shaman, nichts, was ich sage, wird Sie dazu bringen, Gewalt abzulehnen. Es kommt nicht von hier«, er deutete auf seine Lippen, »und es kommt nicht von hier«, er berührte Shamans Stirn. »Wenn es geschieht, dann kommt es von hier«, und er tippte Shaman auf die Brust. »Und bis es soweit ist, müssen Sie weiterhin Ihr Schwert umgürten«, sagte er, als sei Shaman ein Römer oder ein Westgote und nicht ein tauber Mann, den man nicht zum Kriegsdienst zugelassen hatte. »Wenn Sie eines Tages Ihr Schwert ablegen und es fortwerfen, werden Sie es tun, weil Sie erkennen, dass Sie keine andere Wahl haben«, sagte Cliburn, schnalzte mit der Zunge und gab seinem Pferd die Zügel.

Das Ende des Tagebuchs
    »Wir sind heute bei den Geigers zum Tee eingeladen«, erzählte Shamans Mutter ihrem Sohn. »Rachel sagte, wir müssten unbedingt kommen, es habe etwas mit den Kindern und Haselnusssträuchern zu tun.« Also gingen sie am Nachmittag auf dem Langen Weg zu den Geigers und nahmen im

Weitere Kostenlose Bücher