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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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eine lange, heiße Nacht, die nur langsam vorbeiging. Immer wieder ließen die Scheinwerfer eines die Straße entlangfahrenden Autos Lichtflecken durch R.J.s Schlafzimmer tanzen. Der Wagen bremste jedesmal ab, wenn er am Haus vorbeikam, und sie nahm an, daß es Bill Peters in seinem Streifenwagen war.
    Gegen Morgen wurde die Hitze erdrückend. Eigentlich war es Blödsinn, die Fenster auch im ersten Stock geschlossen zu halten, dachte sie. Sie würde es auf jeden Fall hören, wenn jemand eine Leiter gegen die Hauswand lehnte. Sie öffnete die Fenster, lag dann im Bett und genoß die kühle Luft, die hereinwehte. Kurz nach fünf Uhr begannen hinter dem Haus die Kojoten zu heulen. Ein gutes Zeichen, dachte sie, denn wenn Menschen im Wald wären, würden die Kojoten still bleiben.
    Sie hatte gelesen, daß dieses Heulen fast immer eine sexuelle Aufforderung bedeutet, eine Verabredung zur Paarung, und sie mußte lächeln, als sie nun den langgezogenen Lauten lauschte: Ai-uu-uu-uu-uu-jip-jip-jip: Hier bin ich, ich bin bereit, komm und nimm mich!
    Die Zeit ihrer Enthaltsamkeit dauerte nun schon sehr lange. Und ein Mensch war schließlich auch nur ein Säugetier, so bereit zum Sex wie ein Kojote. Sie streckte sich im Bett, öffnete den Mund und ließ den Schrei heraus: Ai-uu-uu-uu-uu-jip-jip-jip. Sie heulte mit dem Kojotenrudel, während sich die Nacht perlgrau lichtete, und stellte zu ihrer Überraschung fest, daß sie zur gleichen Zeit so viel Angst und so viel Lust verspüren konnte.

Frühkonzert
    Es wurde ein an Freuden und Traurigkeit reicher Sommer für R.J., während sie unter Leuten arbeitete, die sie wegen ihrer vielen Stärken, aber auch der Menschlichkeit ihrer Schwächen wegen bewundern gelernt hatte. Janet Cantwells Mutter, Elena Allen, litt seit achtzehn Jahren an Diabetes mellitus , und schließlich hatten Durchblutungsprobleme zu einer Gangrän geführt, die eine Amputation des rechten Beins nötig machte. Voller unguter Vorahnungen behandelte R.J. auch arterio-sklerotische Schädigungen am linken Bein. Elena war achtzig Jahre alt, aber geistig noch sehr wach. Auf Krücken zeigte sie R.J. ihre preisgekrönten Lilien und riesige Tomaten, die bereits langsam rot wurden. Elena versuchte, ihr einige ihrer überschüssigen Zucchini aufzuschwatzen. »Ich habe doch selber welche!« protestierte R.J. lachend. »Wollen Sie vielleicht ein paar von meinen?«
    »Ach, du meine Güte, nein!«
    Jeder Gartenbesitzer in Woodfield züchtete Zucchini. Gregory Hinton meinte, wer an der High Street parke, solle besser sein Auto abschließen, sonst werde er beim Zurückkommen feststellen, daß ihm jemand Zucchini auf den Rücksitz gelegt hat Greg Hinton, der alte Geizhals, war zu einem loyalen Förderer und Freund R.J.s geworden, und es schmerzte sie, daß sie bei ihm einen kleinzelligen Lungenkrebs diagnostizieren mußte. Als er hustend und keuchend zu ihr kam, war er bereits in ernsten Schwierigkeiten. Er war siebzig und hatte seit seinem fünfzehnten Lebensjahr täglich zwei Schachteln Zigaretten geraucht. Aber seiner Ansicht nach gab es auch noch andere Gründe für die Krankheit. »Jeder sagt, wie gesund das Leben als Farmer ist: die Arbeit an der frischen Luft und so weiter. Aber niemand denkt an den Heustaub in geschlossenen Scheunen und an die chemischen Dünger und Unkrautvernichter auf den Feldern, die der arme Kerl die ganze Zeit einatmen muß. In vieler Hinsicht ist das eine sehr ungesunde Arbeit« R.J. schickte ihn zu einem Onkologen in Greenfield, wo eine Kernspintomographie zusätzlich einen kleinen, ringförmigen Schatten in seinem Hirn zutage brachte. R.J. sorgte nach der Strahlenbehandlung für ihn, überwachte seine Chemotherapie und litt mit ihm.
    Aber es gab auch positive Augenblicke und Wochen. Den ganzen Sommer über hatte es keinen Sterbefall gegeben, und die Menschen in R.J.s Umgebung wuchsen und mehrten sich. Tobys Bauch schwoll an wie eine Popcorntüte in der Mikrowelle. Sie litt unter morgendlicher Übelkeit, die sich teilweise bis in die Nachmittags- und Abendstunden erstreckte. Sie fand aber heraus, daß eiskaltes Mineralwasser mit Zitronenscheiben die Übelkeit linderte, und so saß sie zwischen zwei Brechanfällen hinter ihrem Schreibtisch in R.J.s Praxis und hielt sich an einem hohen Glas fest, in dem die Eiswürfel klimperten, wenn sie in kleinen, würdevollen Schlucken aus ihm trank. R.J. hatte Toby für die siebzehnte Woche ihrer Schwangerschaft zur Amniozentese vorgesehen.
    Ein Ereignis schlug

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