Medicus 03 - Die Erben des Medicus
in der ansonsten ruhigen Oberfläche der Gemeinde hohe Wellen. An einem entsetzlich schwülen Tag entband R.J. Jessica Garland von Drillingen, zwei Mädchen und einem Jungen. Obwohl seit langem bekannt war, daß Drillinge anstanden, feierte nach der problemlosen Geburt der ganze Ort Es war R.J.s erste Entbindung von Drillingen, und wahrscheinlich auch ihre letzte, denn sie hatte beschlossen, nach dem Umzug der Gablers in die Hügel alle werdenden Mütter zu Gwen zu überweisen. Die Neugeborenen wurden Clara, Julia und John getauft. R.J. hatte immer geglaubt, man würde Landärzten die Ehre erweisen, Babys nach ihnen zu benennen, aber offensichtlich gab es diesen Brauch nicht mehr.
Eines Morgens kam Gregory Hinton wie gewohnt zur Chemotherapie in ihre Praxis. Doch nach der Behandlung druckste er herum.
»Dr. Cole, ich habe erfahren, daß Sie in Springfield Abtreibungen durchführen.«
Die forme lle Anrede ließ sie aufhorchen, denn er nannte sie schon seit längerer Zeit R.J. Die Frage allerdings überraschte sie nicht, hatte sie doch bewußt kein Geheimnis aus dieser Tätigkeit gemacht. »Ja, das stimmt, Greg. Ich arbeite jeden Donnerstag in dieser Klinik.«
Er nickte. »Wir sind Katholiken. Haben Sie das gewußt?«
»Nein, das habe ich nicht gewußt.«
»Ja ja. Ich wurde als Kongregationalist geboren und erzogen, Stacia aber als Katholikin. Sie hieß Stacia Kwiatkowski, ihr Vater hatte eine Hühnerfarm in Sunderland. An einem Samstagabend kam sie mit ein paar Freundinnen zum Tanz in unseren Rathaussaal, und dort habe ich sie kennengelernt. Nach unserer Hochzeit erschien es uns einfacher, in eine Kirche zu gehen, und so habe ich angefangen, die ihre zu besuchen. Hier im Ort gibt es natürlich keine katholische Kirche, wir gehen in die Pfarrei Jesu Namen in South Deerfield. Ja, und irgendwann bin ich konvertiert.«
Er räusperte sich.
»Wir haben eine Nichte in Colrain, Rita Hinton, die Tochter meines Bruders Arthur. Sie sind Kongregationalisten. Rita war auf der Syracuse University, hat sich dort eine Schwangerschaft anhängen lassen, und der Junge machte sich aus dem Staub. Rita hat das Studium aufgegeben und das Baby behalten, ein kleines Mädchen. Meine Schwägerin Helen kümmert sich um das Baby, und Rita nimmt ihr dafür die Hausarbeit ab. Wir sind sehr stolz auf unsere Nichte.«
»Das dürfen Sie auch sein. Wenn das ihre Entscheidung war, sollten Sie sie unterstützen und sich mit ihr freuen.«
»Die Sache ist die«, sagte er leise, »wir können Abtreibungen nicht billigen.«
»Ich mag auch keine Abtreibungen, Greg.«
»Warum machen Sie sie dann?«
»Weil die Leute, die in diese Klinik kommen, verzweifelt Hilfe brauchen. Viele Frauen würden sterben, wenn sie keine Chance zu einer sicheren, sauberen Abtreibung bekommen. Für diese Frauen ist es unwichtig, was andere schwangere Frauen getan oder nicht getan haben, oder was Sie denken, oder was ich denke, oder was diese oder jene Gruppe denkt. Für diese Frauen ist nur wichtig, was in ihrem eigenen Körper und in ihrer Seele passiert, und sie müssen persönlich entscheiden, was sie tun wollen, um zu überleben.« Sie sah ihm in die Augen. »Können Sie das verstehen?«
Nach einem Augenblick des Zögerns nickte er. »Ich glaube, ich kann es«, antwortete er widerstrebend.
»Darüber bin ich froh.«
Trotzdem war sie nicht länger bereit, sich vor jedem Donnerstag zu fürchten. Als sie Barbara Eustis versprochen hatte auszuhelfen, hatte sie ihr auch gesagt, daß sie es nur vorübergehend tun werde, nur so lange, bis die Leiterin der Klinik andere Ärzte gefunden habe. Am letzten Donnerstag im August fuhr R.J. nach Springfield mit dem festen Vorsatz, Barbara Eustis zu sagen, daß sie nicht mehr weitermachen wolle.
Vor der Klinik fand eine Demonstration statt, als sie am Gebäude vorbeifuhr. Wie gewöhnlich parkte sie ein paar Blocks entfernt und ging zu Fuß zurück. Ein positives Ergebnis der Politik Clintons war es, daß die Polizei die Demonstranten nun auf der anderen Straßenseite halten mußte, so daß sie niemanden mehr körperlich beim Betreten der Klinik belästigen konnten. Trotzdem wurden, als ein Auto in die Klinikauffahrt einbog, die Schilder und Plakate geschwenkt und in die Höhe gereckt, und das Geschrei erhob sich.
Aus einem Lautsprecher dröhnte: »Mommy, bring mich nicht um! Mommy, bring mich nicht um!«
»Mutter, bring dein Baby nicht um!«
»Kehre um! Rette ein Leben!«
Offensichtlich hatte jemand R.J. erkannt, die nun nur
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