Medicus 03 - Die Erben des Medicus
er weitererzählte.
Ich hatte sexuelle Träume von dir, und dann spritzte das Sperma aus meinem Körper. Aber öfters sah ich dein Gesicht, dein Lachen. Manchmal ergaben die Träume keinen Sinn. Ich träumte, daß du mit dem Ehepaar Moscowitz und einigen Amischen am Tisch sitzt. Ich träumte, daß du einen Achtspänner lenkst. Ich träumte, daß du das formlose, lange Gewand der Amisch-Frauen trägst, mit dem Halsduch über der Brust, der Schürze um die Taille und der züchtigen weißen Kapp auf deinen dunklen Haaren.
In der Jeschiwa wurde mir zwar viel Wohlwollen entgegengebracht, aber wenig Respekt. Die Gelehrsamkeit der Männer des Studienhauses war viel gründlicher als meine, und ihr Glaube war anders.
Und jeder in der Jeschiwa wußte, daß ich Alkoholiker war. An einem Sonntagnachmittag vollzog der Rebbe die Trauung von Reb Yossel Steins Tochter. Basha Stein wurde verheiratet mit Reb Yehuda Nahman, dem jüngsten der Gelehrten, einem siebzehnjährigen Jungen, der immer schon ein flui, ein Wunderkind, gewesen war. Die Hochzeit fand in der Scheune statt, und jeder aus der Jeschiwa war anwesend. Als das Paar unter dem Baldachin stand, sang die Gemeinde mit kräftigen Stimmen: »Er, der stark ist über alles, Er, der gesegnet ist über alles, Er, der groß ist über alles, Möge er Braut und Bräutigam segnen.«
Danach, als der Schnaps ausgeschenkt wurde, kam niemand zu mir, um mir ein Glas anzubieten, so wie mir noch nie jemand beim Oneg Shabbat, dem Abschluß der Sabbat-Zeremonie, ein Glas Wein angeboten hatte. Sie behandelten mich mit gütiger Herablassung, sie taten ihre Mizwa, ihre Pflicht, wie bärtige Pfadfinder, die freundlich zu Krüppeln sind, um sich als transzendentales Verdienstabzeichen ihr Anrechtauf die himmlische Belohnung zu erwerben.
Den Beginn des Frühlings spürte ich wie eine neue Pein. Ich war mir sicher, daß mein Leben sich ändern würde, aber ich wußte nicht, wie. Ich rasierte mich nicht mehr, wollte mir einen Bart stehenlassen wie alle Männer in meiner Umgebung. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, mir in der Jeschiwa eine neue Existenz aufzubauen, merkte aber, daß mich von diesen Juden beinahe soviel unterschied wie von den Amischen.
Ich sah, wie die Farmer auf ihren sich erwärmenden Feldern mit der Arbeit begannen. Der honigschwere Gestank von Dung war überall.
Eines Tages besuchte ich Simon Yoder auf seiner Farm. Yoder war der Mann, der den Grand der Jeschiwa gepachtet hatte und bestellte und dessen durchgegangenes Pferd ich an meinem ersten Tag in Kidron eingefangen hatte.
»Ich würde gern für Sie arbeiten«, sagte ich.
»Und was tun?«
»Alles, wozu Sie mich brauchen können.«
»Können Sie ein Pferdefuhrwerk lenken?«
»Nein.«
Yoder sah mich zweifelnd an und wunderte sich wohl über diesen komischen Nicht-Amischen. »Wir zahlen hier keine gesetzlichen Mindestlöhne, müssen Sie wis sen. Viel weniger.«
Ich zuckte die Achseln.
Also versuchte Yoder es mit mir, stellte mich an den Dunghaufen und ließ mich den ganzen Tag Pferdemist in den Streuer schaufeln. Ich war im Himmel. Als ich abends mit schmerzenden Muskeln und stinkenden Klamotten in die Wohnung der Moscowitz zurückkehrte, nahmen Dvora und der Rebbe vermutlich an, daß ich entweder wieder zu trinken angefangen oder meinen Verstand verloren hatte.
Es war ein ungewöhnlich warmer Frühling, etwas trocken, aber doch genügend feucht für ein anständiges Wachstum. Nachdem der Mist verteilt war, pflügte und eggte Simon mit fünf Pferden, und sein Bruder Hans pflügte mit einem Gespann von acht kräftigen Tieren. »Ein Pferd bringt Dünger und neue Pferde«, belehrte mich Simon. »Ein Traktor bringt nur Rechnungen.«
Er brachte mir bei, wie man ein Pferdegespann lenkt »Mit einem Pferd können Sie ja schon recht gut umgehen. Das ist eigentlich am wichtigsten. Eins nach dem anderen spannen Sie sie an. Und eins nach dem andern holen Sie sie aus dem Geschirr. Die Tiere sind daran gewöhnt, im Gespann zu arbeiten.« Bald darauf ging ich schon hinter zwei Pferden und pflügte die Ecken der Felder. Ganz allein bestellte ich das Maisfeld, das die Jeschiwa umgab. Während ich, die Zügel in der Hand, hinter den Pferden herging, war mir bewußt, daß sich hinter jedem Fenster gelehrte, bärtige Gesichter drängten, die jede meiner Bewegungen beobachteten, als wäre ich vom Mars.
Bald nach der Aussaat war es Zeit für die erste Heumahd. Ich arbeitete jeden Tag auf den Feldern, das Parfüm der Arbeit in der Nase,
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