Medicus 03 - Die Erben des Medicus
sie sich die Silberpolitur und stellte Betts' Silberservice auf den Küchentisch. Sie legte eine Mozart CD auf, »Adagio für Violine und Orchester«. Normalerweise half ihr Itzhak Perlmans Violine über vieles hinweg, aber an diesem Morgen klang das Konzert aufdringlich und schrill, und sie stand nach einer Weile auf, wischte sich die Politur von den Händen und ging zum CD-Player.
Kaum hatte die Musik aufgehört, klingelte das Telefon. Sie atmete tief durch und meldete sich.
Aber es war Jan. »R.J., Toby hat starke Schmerzen. Ihr Rücken ist so schlimm wie noch nie, und jetzt hat sie auch noch Krämpfe.«
»Laß mich mit ihr reden, Jan!«
»Sie ist ganz aufgelöst, sie weint.« Eigentlich war es bei Toby erst in dreieinhalb Wochen soweit »Na, dann werde ich wohl besser mal vorbeischauen.«
»Danke, R.J.«
Sie traf Toby sehr erregt an. In einem Flanellnachthemd mit winzigen roten Rosen darauf und in Karosocken, die sie von Peggy Weiler zu Weihnachten bekommen hatte, ging sie ruhelos auf und ab.
»R.J., ich habe solche Angst.«
»Setz dich erst mal! Laß mich nachsehen, was los ist.«
»Im Sitzen tut mein Rücken noch mehr weh.«
»Na, dann leg dich hin! Ich möchte deine Vitalfunktionen messen«, sagte R.J. unbekümmert, aber so forsch, daß Toby nicht widersprechen konnte.
Toby atmete etwas schnell. Ihr Blutdruck lag bei einhundertvierzig zu sechsundachtzig, ihr Puls bei zweiundneunzig, nicht schlimm angesichts ihrer Aufgeregtheit. R.J. machte sich erst gar nicht die Mühe, ihr die Temperatur zu messen. Als sie die Hand auf den gewölbten Bauch legte, waren die Kontraktionen unverkennbar, und sie nahm Tobys Hand und legte sie ihr auf den Bauch, damit sie wußte, was los war.
R.J. drehte sich zu Jan um. »Bestell doch bitte den Krankenwagen, und sag ihnen, daß deine Frau in den Wehen liegt! Dann ruf die Klinik an! Sag ihnen, daß wir kommen und daß sie Dr. Stanley Zinck benachrichtigen sollen.«
Toby fing an zu weinen. »Ist der denn gut?«
»Natürlich ist er gut, Gwen würde sich doch nicht von irgend jemandem vertreten lassen!« R.J. streifte sich sterile Handschuhe über. Tobys Augen waren weit aufgerissen. R.J. mußte die Freundin ein paarmal bitten, die Knie anzuziehen, das letzte Mal ziemlich scharf. Der Tastbefund war unauffällig, der Muttermund war noch kaum geöffnet, vielleicht drei Zentimeter.
»Ich habe solche Angst, R.J.«
R.J. nahm sie in den Arm. »Es wird alles gut, das verspreche ich dir.« Sie schickte sie ins Bad, damit sie ihre Blase entleerte, bevor der Krankenwagen eintraf.
Jan kam wieder ins Zimmer. »Sie wird ein paar Sachen mitnehmen müssen«, sagte R.J. zu ihm.
»Ihre Tasche ist seit fünf Wochen gepackt.«
Steve Ripley und Dennis Stanley kamen mit dem Krankenwagen, und sie waren besonders aufrnerksam, da Toby doch eine von ihnen war. Bei ihrer Ankunft hatte R.J. eben noch einmal die Vitalfunktionen gemessen und sich die Daten notiert. Jetzt gab sie Steve das Blatt.
Jan und Dennis liefen hinaus, um die Trage zu holen.
»Ich fahre mit«, sagte R.J. »Sie hat Angst. Es wäre gut, wenn auch Jan hinten bei uns mitfahren könnte.» Steve nickte.
Es war eng im Krankenwagen. Steve stand hinter Tobys Kopf, in nächster Nähe zum Fahrer und dem Funkgerät, Jan stand zu Füßen seiner Frau, und R.J. war in der Mitte. Die drei schwankten und kämpften ums Gleichgewicht, vor allem als der Krankenwagen die Landstraßen verlassen hatte und über den kurvenreichen Highway brauste. Es war sehr warm, weil die Heizung voll aufgedreht war. Schon am Anfang der Fahrt hatten sie Toby die Decken abgenommen, und R.J. hatte ihr das Nachthemd weit über den gewölbten Bauch hochgeschoben. Zuerst hatte R.J. sie dezenterweise mit einem leichten Tuch bedeckt, aber Toby hatte die Beine nicht ruhig halten können und es heruntergestrampelt.
Anfangs war Toby blaß und still gewesen, aber schon bald rötete sich ihr Gesicht vor Anstrengung, sie ächzte und stöhnte und stieß hin und wieder einen angestrengten Schrei aus. »Soll ich ihr Sauerstoff geben?« fragte Steve. »Kann nicht schaden.«
Doch schon nach wenigen Atemzügen hielt Toby es nicht mehr aus und riß sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht »R.J.!« rief sie verzweifelt und wich erschrocken zurück, als ein großer Schwall aus ihr hervorbrach und sich über R.J.s Hände und Jeans ergoß. »Alles in Ordnung, Toby, das ist nur dein Fruchtwasser«, sagte R.J. und griff nach einem Handtuch. Toby riß den Mund weit auf und streckte die
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