Medicus von Konstantinopel
die in der Nähe standen.
»Davide, ich hoffe, dass sich das alles aufklären lässt«, wandte sich Maria an den Schreiber. In der Kutsche waren sie allein, und es war fraglich, wann sie das nächste Mal Gelegenheit hätten, miteinander zu reden, ohne dass es jemand mitbekam.
»Da steckt mehr dahinter«, sagte Davide finster.
»Und was?«
»Jemand will dem Haus di Lorenzo etwas anhängen. Und das wurde von langer Hand vorbereitet, so viel ist sicher!«
Ein Söldner saß auf dem Kutschbock. Er fuhr den Wagen ruckartig an, da er kein geübter Fuhrmann war. Die Gardisten, die den Gefangenentransport begleiten sollten, stiegen auf ihre Pferde. Die meisten blieben aber beim Kontor, darunter der Hauptmann. Offenbar sollten die Gebäude durchsucht werden. Maria ahnte nichts Gutes.
Michael war zwischen den Schaulustigen zu sehen. Er fiel gleich auf, weil er aus der Masse der zumeist ärmlich gekleideten Frauen und Kinder herausragte.
Davide beugte sich aus dem Fenster der Kutschenkabine. »Michael!«, rief er. »Geh zu Jakob Forlanus! Er muss uns helfen! Hast du gehört?« Es war nicht klar, ob Michael ihn verstanden hatte.
Der Wagen wurde schneller und bog in die Straße ein, die geradewegs zur Mese führte.
»Wir haben nichts verbrochen!«, sagte Maria.
»Gerade dann werden wir unseren Advokaten brauchen«, erwiderte Davide. »Ich will Euch keinen Vorwurf machen, aber gerade jetzt sind wir auf Verbündete wie die Maldinis angewiesen. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass Claudio Emanueles Neigung, uns zur Seite zu stehen, nicht sehr groß ist.«
Man führte Maria und Davide durch einen verborgenen Nebeneingang in den Palast. Die Gardisten, die sie in die Mitte nahmen, sprachen kein Wort. Dann ging es über eine steinerne Wendeltreppe in die Tiefe. Dort war es feucht und kalt. Ein modriger Geruch nach Algen und Fäulnis stieg auf. Es war der Geruch der schlecht gepflegten Zisternen und Aquädukte, der im Laufe der Zeit selbst durch die Ritzen der steinernen Böden drang und wohl nie wieder ganz aus den Kellergewölben unter dem Palast weichen würde.
Schließlich erreichten sie eine Tür, die von Gardisten bewacht wurde. Es bedurfte offenbar keinerlei Erklärungen. Ein Gardist klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Tür: dreimal kurz, dreimal lang. Daraufhin wurde von innen ein Riegel fortgeschoben und die Tür geöffnet.
Maria und Davide gelangten in einen nur spärlich beleuchteten Raum. Die Wände waren kahl. Nur an jedem zweiten der in die Wände eingelassenen Eisenringe steckten Fackeln, deren Licht nun durch die Zugluft zu flackern begann.
Hinter einem schlichten Tisch aus schwerem dunklem Holz, auf dem ein paar Kerzen brannten, saß ein Mann vornübergebeugt, den Kopf auf die Hände gestützt. Rechts und links von ihm standen weitere Gestalten. Die meisten hoben sich als dunkle Schemen vom Kerzen- und Fackellicht ab.
Die Tür wurde geschlossen und verriegelt.
Der Mann hinter dem Tisch hob den Kopf, und Maria konnte nun, da sein Gesicht vom Schein des Lichtes erfüllt wurde, erkennen, wer er war.
»Nektarios!«, murmelte sie.
Entsetzen und Hoffnung hielten sich für einen Moment die Waage. Hatte der alte Freund des Hauses di Lorenzo vielleicht die Möglichkeit, etwas für sie und Davide zu tun? Klärte sich nun alles als ein Irrtum auf? Doch sie musste auch an Davides Worte denken. Und für gewöhnlich irrte sich ein Mann mit der Erfahrung eines Davide Scrittore in solchen Dingen nur selten.
Einige Augenblicke herrschte Schweigen.
In der Stille konnte man das Knistern der Fackeln hören – und die dumpfen Erschütterungen des Geschützfeuers, das selbst hier unten noch zu vernehmen war.
»Maria di Lorenzo, wir leben in schweren Zeiten. Seit Jahren wird unsere Stadt von außen bedroht, und im Augenblick spitzt sich die Lage wieder einmal zu. Die Mauern Konstantinopels haben den Goten, Hunnen, Arabern und Wikingern standgehalten. Die Stadt ist uneinnehmbar, es sei denn, sie fällt durch Verrat. Dementsprechend schwer wiegt ein solcher Verdacht.«
»Verrat?«, fragte Maria fassungslos.
Nektarios hob die Hand und gebot ihr zu schweigen. »Ihr und Euer Schreiber werdet des Hochverrats angeklagt. In diesem Fall gilt das römische Recht nicht, und wir werden auch nicht öffentlich vor dem kaiserlichen Gericht verhandeln.«
»Das ist eine falsche Beschuldigung!«, erklärte Davide. »Und Ihr wisst das sehr genau, Nektarios Andronikos!«
»Die Beweise sind erdrückend«, erklärte
Weitere Kostenlose Bücher