Medicus von Konstantinopel
dem Kutscher, blieb nichts anderes übrig, als das Tor zu öffnen. Die Gardisten stürmten mit blankgezogenen Waffen herein. Die Klingen von Hellebarden und Schwertern blinkten im Licht der frühen Morgensonne.
Maria und Davide hatten von einem der Fenster des Hauptgebäudes aus das Geschehen beobachtet.
»Es wird sich um irgendeinen Befehl zur Beschlagnahme von kriegswichtigen Gütern handeln!«, meinte Davide. »Ich denke, dass ich das klären kann!«
»Nein, ich werde das klären«, sagte Maria. »Schließlich bin ich die Herrin des Hauses di Lorenzo. Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen!«
Sie gingen den Gardisten entgegen. Marias Herz schlug bis zum Hals. Sie raffte das Kleid etwas zusammen, um mit energischerem, schnellerem Schritt vorangehen zu können. Warum dieses große Aufgebot, nur um vielleicht ein paar Güter zu konfiszieren, die man für kriegswichtig hält?, ging es ihr durch den Kopf. Noch dazu in einer Lage, in der jeder Gardist eigentlich an der Theodosianischen Mauer gebraucht wurde! Der Verdacht stieg in ihr auf, dass doch mehr dahinterstecken könnte, als sie im Moment wahrhaben wollte.
Der Hauptmann, der die Einheit befehligte, richtete die Spitze seines Schwertes auf sie, sodass sie und Davide stehen bleiben mussten.
»Maria di Lorenzo?«
»Ja, das bin ich!«, bestätigte Maria. »Was fällt Euch ein, hier auf diese Weise hereinzuplatzen! Dafür werde ich Euch vor dem kaiserlichen Gericht verklagen, dass Euch Hören und Sehen vergeht!«
»Das könnt Ihr gerne tun, Maria di Lorenzo – falls Ihr dazu noch in der Lage seid, nachdem man Euch den Prozess in einer anderen Sache gemacht hat.«
»Wie bitte? In welcher Sache?« Maria konnte nicht fassen, was sie vernommen hatte.
»Ihr seid des Hochverrats verdächtig.«
»Das muss ein Irrtum sein!«, mischte sich Davide ein. »Ihr sprecht mit Maria di Lorenzo, der Erbin des Handelshauses gleichen Namens, das von Niccolò Andrea di Lorenzo gegründet wurde, der bei der Rückeroberung Konstantinopels von den Lateinern half!«
Der Garde-Hauptmann verzog das Gesicht. »Ich bin ein gebürtiger Armenier und kenne mich ehrlich gesagt nicht sonderlich gut in der Geschichte dieser Stadt aus. Wir führen nur unsere Befehle aus, das ist alles.«
Die Männer packten Maria.
»Ich muss protestieren!«, rief Davide. Daraufhin wurde auch Davide von zwei Männern gleichzeitig gepackt und festgehalten.
»Seid Ihr David Syngraféas?«
»So nennt man mich bei meinem griechischen Namen«, bestätigte Davide.
Der Hauptmann verzog das Gesicht. Er hatte das Schwert noch immer nicht eingesteckt, obwohl inzwischen längst klar war, dass nirgendwo bewaffneter Widerstand geleistet werden würde. Der einzige Bewaffnete war Michael, der Kutscher, gewesen, und dem hatte man das Langmesser sofort weggenommen.
Der Hauptmann hielt die Klinge an Davides Hals. »Ihr seid ebenfalls beschuldigt, unsere Stadt in einer schweren Zeit an ihre Feinde verraten zu haben.«
»Hört mich an!«
»Abführen!«, befahl der Hauptmann.
»Und was machen wir mit dem hier?«, fragte einer der Gardisten, der, zusammen mit einem anderen, Michael ziemlich grob gepackt und ihm den Arm zurückgebogen hatte.
Der Hauptmann musterte ihn.
»Wer bist du?«
»Michael, der Kutscher.«
»Du dienst in diesem Haus?«
»Ja.«
»Halte dich in Zukunft fern von hier! Es werden alle Eingänge versiegelt, und der Besitz wird vorübergehend konfisziert.«
»Aber …«
»Wir haben nur den Befehl, Maria di Lorenzo und ihren Schreiber gefangen zu nehmen. Du kannst gehen!« Der Hauptmann gab seinen Männern ein Zeichen, und sie ließen Michael los.
Maria und Davide wurden in einen Wagen gepfercht, der sie zum Palast bringen sollte. Beiden waren die Hände gefesselt worden. Ein paar Schaulustige hatten sich vor dem Kontor versammelt. Es waren vor allem die Frauen und Kinder der Tagelöhner, die sonst im Hafen oder in den Lagerhäusern halfen. Aber im Augenblick waren sie alle an der Theodosianischen Mauer, um die Schäden zu beseitigen, die durch die Kanonen gerissen wurden.
»Es geschieht den Reichen recht, dass auch von ihnen jetzt etwas genommen wird!«, hörte Maria eine Frau sagen, deren Stimme fast so durchdringend wie die des schreienden Kindes war, das sie auf dem Arm trug. »Woanders in der Stadt werden Kirchenglocken eingeschmolzen, um daraus Kanonenkugeln zu gießen! Da können die reichen lateinischen Pfeffersäcke auch was dazu beitragen!«
Zustimmendes Gemurmel kam von denen,
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