Medicus von Konstantinopel
Palaiologos den Kaisertitel zu entreißen, und die dabei mit Sicherheit von den Teilen der Geistlichkeit unterstützt worden wären, für die die Kirchenunion ein Werk des Teufels war.
»So wird am Ende ihrer Geschichte noch einmal ein Herrscher namens Konstantin auf dem Thron dieser Stadt sitzen«, meinte Marco. »Das ist fast schon Ironie!«
»Konstantin soll ein fähiger Verwalter gewesen sein«, sagte Maria.
»Ich habe gehört, dass bereits Wetten darauf abgegeben werden, wie lange er sich halten kann!«, meinte Marco. »Bezeichnend für ihn ist im Übrigen die Tatsache, dass er mehrere Wochen gebraucht hat, um die nötige Zahl von Schiffen und Söldnern zusammenzubringen, damit er einigermaßen würdig in die Stadt einziehen kann. Aber du solltest dir keine Sorgen machen: Ein Kaiser aus der Familie Palaiologos wird die Handelsprivilegien des Hauses di Lorenzo wohl kaum zurücknehmen!«
»In dieser Hinsicht mache ich mir auch keine Sorgen«, gab Maria zurück. »In anderer allerdings schon!«
»Ach, Maria! Erzähl mir nicht, dass die Beträge, die ich aus dem Geschäft gezogen habe, wirklich eine Gefahr für die Zukunft der di Lorenzos darstellen! Du bist eine übervorsichtige Krämerseele wie unser Vater.«
»Vorsicht und Besonnenheit waren sicherlich nicht seine schlechtesten Eigenschaften, Marco.«
»Und – was haben sie ihm eingebracht? Jetzt fressen die Maden seinen pestverseuchten Leib, und welchen Lohn der Himmel für ihn bereithält, darüber will ich angesichts der Ungnädigkeit unseres Herrn erst gar nicht spekulieren!«
Zwei Tage später fuhr im Schutz der einsetzenden Dämmerung ein geschlossener Wagen die Mese entlang Richtung Westen.
Im seinem Inneren saßen Maria und Davide.
Der Kutscher hieß Michael und gehörte zu Davides ausgedehnter Familie. Nur aus diesem einzigen Grund vertraute Davide ihm genug, um ihn auf diese Fahrt mitzunehmen. Marco hingegen war nicht einmal über diese Fahrt informiert worden. Selbst auf die Begleitung durch ein oder zwei der Waffenknechte, die in den Diensten des Hauses di Lorenzo standen, hatte man aus Geheimhaltungsgründen verzichtet.
Genau genommen war es Davide gewesen, der die Unternehmung genau so geplant und vorgeschlagen hatte, obwohl ihr Weg bis zur Burg der Sieben Türme im äußersten Südosten der Stadt führte. Auf ihrer Route ging es dabei durch Gebiete, die als sehr unsicher galten, Bereiche der Stadt, die kaum noch besiedelt waren, die teilweise nur noch aus verfallenden Ruinen bestanden, in denen sich zuweilen Räubergesindel auf die Lauer legte, um Reisende zu überfallen. Die Mese war, da eine der größten und wichtigsten Straßen Konstantinopels, ein ideales Revier für sie – wie auch die anderen großen, noch in römischer Zeit angelegten Ost-West-Verbindungen zwischen den Toren an der Theodosianischen Mauer und dem eigentlichen Stadtkern. Trotz der eingeschlossenen Lage der Stadt gab es immer noch mehr als genug Händler und Reisende, die darauf angewiesen waren, die Stadt auf dem Landweg zu betreten oder zu verlassen – zumeist weil sie sich eine Schiffspassage nicht leisten konnten. Noch ließen die Türken sie passieren. Freilich war klar, dass sie diesen Verkehr jederzeit unterbinden konnten – was in der Vergangenheit auch schon oft genug geschehen war, wenn sich die gespannte Lage zwischen dem Kaiser der Rhomäer und dem nur wenige Meilen entfernt in Adrianopel residierenden Sultan zu sehr zugespitzt hatte. Zwar konnte die Stadt im Notfall problemlos ausschließlich über den Seeweg versorgt werden, aber jeder Einwohner Konstantinopels spürte es sofort an den Preisen, die auf den Märkten verlangt wurden, wenn die Türken niemanden mehr durchließen.
Etwa eine halbe Meile vor der Burg der Sieben Türme entfernt vereinigte sich die Mese mit der weiter südlich verlaufenden Küstenstraße, die unmittelbar in der Nähe der Befestigungsmauern am Südufer der Stadt entlanglief, vorbei am Eutherios- und am Konstantin-Hafen. Diese Straße endete ebenfalls am Palast. Er war der Mittelpunkt Konstantinopels, und die Straßen wirkten wie ein großes Netz, das der Stadt einst von einem gewaltigen Riesen übergeworfen worden war, um sie niederzuzwingen.
Im Lauf der letzten Jahrhunderte hatte sich allerdings zu selten jemand gefunden, dieses Netz auszubessern und die Zahl der Schlaglöcher zu verringern. Regenfälle hatten Teile der Straßenbefestigungen unterhöhlt, die sich immer mehr absenkten. Wieder und wieder waren Abschnitte
Weitere Kostenlose Bücher