Medienmuendig
Medienkonsum kommt erwartungsgemäß gehäuft zusammen mit schlechteren Schulleistungen vor. Auf die Frage, was hier Ursache und Wirkung sei, geben Längsschnittuntersuchungen Antwort: Die hauptsächliche Wirkrichtung ist eindeutig: Höherer Medienkonsum verursacht Schulversagen. Dies ist zugleich eine vielsagende Erklärung für die aktuelle »Bildungskrise der Jungen« in Deutschland. 125
Zwei Medienmündigkeitstürme im Vergleich
Halten wir also fest: Im linken Turm gibt es eine schmale Basis, auf der ein viel zu breiter Klotz lastet. Dieses Übergewichtim oberen Teil entsteht, weil die persönliche Ansprache um einen Faktor drei geringer, die Vorlesestunden sogar um Faktor 70 geringer sind, während zugleich der Bildschirmmedienkonsum um Faktor fünf höher liegt. Diejenigen Kinder, die später zu Bildungsverlierern werden, haben in der frühen Kindheit einfach eine zu schmale Basis für die Entstehung von Medienmündigkeit.
Der oben geschilderte Forschungsstand zu Bildschirmmedieneinsatz und Bildungserfolg lässt für mich keinen guten Grund für eine Nutzung von Fernsehen, PC oder Internet im Grundschulalter oder darunter erkennen. Viele schlechte Gründe gibt es: weil es bequem ist, weil es den Kindern »Spaß macht«, den Lehrern oder den Eltern Arbeit spart, vor allem auch weil große Konzerne damit sehr viel Geld verdienen können (vgl. Kapitel 8). Mehr Bildung ist aber jedenfalls aus pädagogischer Sicht kein Argument für Bildschirme. Viele Ansätze zur Überbrückung von Wissensklüften oder in neuerer Zeit »digitalen Klüften« gehen aber immer noch von dem Fehlschluss aus, die mangelnde Praxiserfahrung im Umgang mit den Medien stelle die Erklärung für die beobachtete Kluft dar. Das führt zu Forderungen nach mehr Zugang zu elektronischen Medien für benachteiligte soziale Schichten. Diese Forderungen sind insofern blauäugig zu nennen, als ja wie mehrfach gesagt gerade die übermäßige Medienausstattung und -nutzung heutzutage zu den größten Gefahren für die Bildung der weniger privilegierten Bevölkerungsgruppen gehört.
Brücken bauen – Was zur Überwindung von Bildungsklüften beitragen könnte
Was ist aber stattdessen zu tun, um tatsächlich Bildungsklüfte zu verringern oder jedenfalls nicht noch weiter aufklaffen zu lassen? Fünf Vorschläge habe ich zusammengestellt:
1. Mediensuchtprävention durch gute Elternarbeit –
Bildschirmzeiten einschränken
Es ist möglich, die Bildschirmzeiten für Kinder zu beschränken, wenn gute Konzepte für die Elternarbeit eingesetzt werden. Das zeigen bisher leider hauptsächlich nur in den USA erfolgreiche Projekte. In Deutschland setzt sich erst sehr langsam die Erkenntnis durch, dass die Bildschirmzeiten sozusagen eine Schraube sind, an der man überhaupt drehen kann. 126 Man kann: Bei einem erfolgreichen Interventionsprogramm mit amerikanischen Schülern konnte nicht nur der Bildschirmmedienkonsum, sondern als direkte Folge auch der Prozentsatz übergewichtiger Schüler reduziert werden. 127 Weitere erfolgreiche Interventionsprogramme zur Reduktion von Bildschirmmedienkonsum werden aus den USA für den Vorschulbereich beschrieben. Zum Beispiel wurde im Jahr 2004 die erste randomisierte kontrollierte Studie zur Bewertung eines Programms durchgeführt, an dem 16 Kindergärten im Staat New York teilnahmen. Dabei gelang es, den Fernsehkonsum um fast 5 Stunden wöchentlich im Vergleich zur Kontrollgruppe zu vermindern. 128
2. Mediensuchtprävention »am Kind«
Die Stiftung »Medien- und Onlinesucht« in Lüneburg führt gut durchdachte Projekte zur Vorbeugung gegen problematische Mediennutzung durch. Im Bereich der primären Prävention ist dies ein Märchenprojekt an Kindergärten. Bei regelmäßigen Besuchen im Kindergarten erzählt dabei eine der meist ehrenamtlich arbeitenden Märchenerzählerinnen – ganz einfach – den Kindern Märchen. Aber wer kann heute noch ohne abzulesen frei eine Geschichte erzählen? Die Stiftung bietet deshalb Schulungen für die Erzählerinnen an. Von den Erzieherinnen der teilnehmenden Kindergärten bekommt die Stiftung begeisterte Rückmeldungen. Vor allem das kreative Rollenspiel nehme in den Tagen nach der Märchenstunde erheblich zu, schildern die Erzieherinnen. 129 Auch die Eltern werden durch eine »Märchennacht« im Kindergarten mit eingebunden, um ihnen die Ideeeiner Gute-Nacht-Geschichte statt einer Gute-Nacht-Sendung nahezubringen. Diese Methode entspricht im Kleinen genau den in Kapitel
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