Medienmuendig
dies die Eltern, die sich selbst für
digital natives
halten, zum Beispiel ein Vater, der selbst als Webdesigner arbeitet. Sagte er mir doch, seine Kinder bekommen erst mit 14 Jahren einen eigenen PC! Er hat das so begründet, dass er selbst erst mit 18 Jahren einen bekam, und er meint, dass er nicht trotzdem, sondern gerade deshalb so erfolgreich ist in einem Beruf, der Kreativität erfordert. Aber das sind eben die ganz harten Nüsse.
Und noch etwas: Bei uns in der Werbebranche ist die Trennung von Beruf und Privatleben besonders wichtig. Wenn wir nämlich Werbung für Medienprodukte an junge Zielgruppen entwickeln, dann verkaufen wir dabei, Hand aufs Herz, auch viel unnützen oder gar schädlichen Kram. Aber wir verkaufen eben an die Kinder anderer Leute, und das ist unser Beruf. Sobald es um unsere eigenen Kinder geht, sollten wir radikal anders denken. Ein gutes Beispiel für eine gelungene Trennung von Beruf und Privatleben ist Wolfgang Link, der Europachef der Konzerns Toys»R«Us. Der Online-Geschenkefinder dieser Firma schlägt als geeignetes Geschenk für 2 – 3-Jährige die erste Spielkonsole (Nintendo DS mit Fifa 10) vor oder alternativ »Meister Manny’s Lernhandy«. Praktisch für diejenigen Kinder, die noch nicht schreiben können, ist natürlich die Funktion, mit der im »Geschenkefinder« durch einen Mausklick alle ausgewählten Produkte »auf meinen Wunschzettel« übernommen werden können. 57 Das sind aber Vorschläge, wie gesagt, was sich andere Kinder wünschen und was andere Eltern ihnen kaufen. Ganz anders sieht es bei Wolfgang Link zu Hause aus. Die Kinder, eine Tochter, ein Sohn, spielen viel draußen, sagt er. Seine Tochter liest stundenlang und »das beliebteste Toys»R« Us-Produkt bei uns zu Hause ist ein Ball für 99 Cent.« 58
TEIL 3
Medienmündig werden – Tipps und Tricks für den Alltag
Wenn es in den folgenden 4 kurzen Kapiteln um Praxistipps für den Umgang mit Medien in der Erziehung geht, werden Sie als Leser eingeladen, vier echte Familien genauer kennenzulernen, deren Kinder keine Bildschirmmedien nutzen. 1 Entweder sind Sie selbst eine solche Familie, dann dürfen Sie gespannt sein, was Sie an Ähnlichkeiten entdecken werden. Oder Sie machen es selbst anders, und dann denken Sie bitte immer daran: Man muss ja nicht in der bildschirmfreien Zone wohnen, um sich ein Schlückchen Zaubertrank zu holen, oder anders gesagt: Es gibt vieles, was Sie gerade als Familien mit fernseh- und computergewöhnten Kindern aus diesen Kapiteln mitnehmen können. Eine der wichtigsten Herausforderungen der Erziehung in den nächsten Jahrzehnten wird sein, bei Kindern Lust auf Realität zu wecken. Dazu kann man sich von der Lebenslust dieser Familien sicherlich ein Scheibchen abschneiden. Sie werden überrascht sein über so manchen Aha-Effekt, zum Beispiel, dass diese Familien so normal leben (Kapitel 9); dass Streit ums Fernsehen gar kein Thema sein muss (Kapitel 10); dass man keine aufwändigen Alternativen zum Bildschirm-Babysitter braucht (Kapitel 11); dass es gesellig und gemeinschaftlich zugehen kann – trotz oder wegen der Bildschirmfreiheit? (Kapitel 12) Zum Schluss geht es in drei Medienreifetests zum Ankreuzen um die Frage »Welches Medium ab welchem Alter?« (Kapitel 13)
KAPITEL 9
Bildschirmfreie Zone – Zaubertrank für alle?
Die ganze Kindheit ist von den Medien besetzt.
Wir befinden uns im Jahr 2011 n. Chr. Die ganze Kindheit ist von den Medien besetzt. Wirklich die ganze Kindheit? Nein! Ein unbeugsames Völkchen von Querdenkern hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Den Besatzungen der befestigten Lager Ovidum (sprich: Oh-wie-dumm), Indirectum und Craxbum ist dieses Völkchen ein Dorn im Auge. Brauchen die Bewohner der »bildschirmfreien Zone« also übermenschliche Kräfte, um sich gegen die Angriffe der mächtigen Eindringlinge zu wehren? Nein! Denn sie haben einen Zaubertrank nach Jahrhunderte altem Rezept, der ihnen – o Wunder − menschliche Kräfte verleiht.
Was bedeutet »bildschirmfreie Zone« und warum ist es so wichtig, sich über diese Möglichkeit klarzuwerden, auch und gerade wenn man sie nicht in Reinform verwirklichen möchte? Wissen, was alles möglich ist, befreit vom Scheuklappenblick: Wir haben als Eltern und Pädagogen viel mehr Entscheidungsspielraum, als wir vielleicht glauben! Wir können und sollten selbst darüber entscheiden, ob und ab welchem Alter die Kinder welche Medien nutzen. Was die Medienproduzenten uns glauben
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