Medienmuendig
machen wollen, nämlich dass Bildschirme heute »automatisch« zum Alltag aller Kinder dazugehören, ist eine Lüge. »Automatisch« würde ja gerade bedeuten, dass wir als Erwachsene nicht medienmündig sind, dass wir keinen Einfluss darauf haben, ab welchem Alter unsere Kinder Medien nutzen. Aber so ist es nicht. Wir haben Einfluss, und wir sollten ihn zum Wohle unserer Kinder nutzen. Auch heute ist eine bildschirmfreie Zone nicht nur theoretisch möglich, sondern sie wird in vielen, sehr unterschiedlichen Familien im Alltag auch umgesetzt. Wenn es im ersten Teil dieses Buches also darum ging, zu begründen,
warum
unsere Kinder bessere Chancen haben, medienmündig und nicht mediensüchtig zu werden, wenn sie spät mit dem Medienkonsum beginnen, geht es jetzt um das
Wie
. Wie leben die Familien in der bildschirmfreien Zone?
Sie leben sehr verschieden, im Großen und Ganzen aber überraschend »normal« und entspannt. Eigentlich leben sie so, dass man Lust bekommt, in einer solchen Familie Kind zu sein.
Die Lebensumstände der befragten Familien könnten aber kaum unterschiedlicher sein: von der winzigen Mietwohnung im 4. Stock bis zum eigenen Haus mit Garten, von der Alleinerziehenden über die 2-Eltern-2-Kinder-Familie bis zur großen Patchwork-Familie. Die Anzahl der Kinder variierte von 1 bis 5, das Alter der Kinder von null bis fast erwachsen. Die Berufe der Eltern reichten vom Kinderarzt über den Schreiner und den Lehrer bis zum Orgelbauer, von der Floristin über die Bürokauffrau bis zur Apothekerin und zur selbständigen Unternehmensberaterin. Es waren engagierte Hausfrauen und Mütter undebensolche Hausmänner und Väter dabei, die sich ganz der verantwortungsvollen Aufgabe der Kindererziehung widmen; Arbeitslose waren auch vertreten, und genauso Familien, in denen beide Eltern voll berufstätig waren. Auch im formellen Bildungsniveau gab es alles vom Hauptschulabschluss bis zum Hochschulabschluss, allerdings waren Eltern mit hohen Bildungsabschlüssen deutlich häufiger vertreten (vgl. Kap. 6). Auch im eigenen Fernsehverhalten der bildschirmfrei erziehenden Eltern gab es eine große Vielfalt: Manche sehen selbst abends fern, andere beschränken sich auf DVDs. Manche haben ihr ganzes Leben lang noch nie in einem Haushalt mit Fernseher gewohnt, andere schafften den Apparat bewusst ab, als das erste Kind geboren wurde. Eine Mutter erzählt:
Je weniger ich fernsehe, desto genauer empfinde ich, was es mit mir macht. Wir Eltern haben früher schon wenig ferngesehen. Als unser erstes Kind kam, haben wir den Fernseher weggetan. Jetzt gucken die Kinder nicht und wir auch nicht. […] Eigentlich ist mein Mann eher der, der das strenger sieht. Er ist auch gegen Kassetten, jedenfalls im Kindergartenalter, als Musiklehrer eben: Das ist für ihn gar keine Frage.
Interessant ist auch der Fall der Familie, die jahrelang ohne Fernseher lebte, dies jetzt aber um der kleinen Tochter willen aufgegeben hat. Das ist zunächst besonders schwer zu verstehen, weil die sechsjährige Tochter noch gar nicht fernsieht. Der Vater erklärt:
Wir haben gerade einen Fernseher angeschafft mit dem Gedanken, dass ich als Erwachsener jetzt zuerst lerne, wie ich das Gute daran für mich brauchbar machen kann. Also das ist das Experiment, das ich zur Zeit mache, dass ich wirklich einen Umgang damit lerne. Dann ist das später für meine Tochter auch was, was sie von mir abgucken kann.
Vorbildlich erscheint mir daran der Gedankengang, dass Kinder in der Medienerziehung von engagierten Eltern lernen können,die sich einen mündigen Umgang so weit wie möglich zuvor selbst erarbeiten. Vom Fernsehen auf den Computer übertragen, würde das bedeuten: Statt dem unsinnigen Druck nachzugeben, Kinder müssten früh mit dem Computer umgehen lernen, sollte man lieber Computerkurse für Eltern empfehlen: Der Gedanke, als Erwachsene selbst fit zu werden, um später dem Kind ein gutes Vorbild sein zu können, ist gut. Die Computerausstattung der Eltern in der »bildschirmfreien Zone« ist übrigens ganz durchschnittlich, die Nutzung etwas unterdurchschnittlich, meist wird er hauptsächlich als Arbeitsgerät genutzt (z. B. »als Schreibmaschine für die elektronischen Briefe«, wie eine Mutter erzählte).
Ganz wunderbar hört sich das bis hier an, viel zu wunderbar. Denn auch in der bildschirmfreien Zone sind Eltern keine »Über-Eltern«, sie haben wie jeder andere ihre Fragen und Probleme. Nur sind es ganz andere Fragen und ganz
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