Medienmuendig
wenn er sich allein beschäftigt, manchmal kreativer, als die Eltern sich das vorgestellt haben. Zehn Minuten für ein kurzes Nickerchen nach dem Essen, wie Annette es sich ganz regelmäßig nimmt, können zur Entspannung beitragen. Wenn aber, wie in einer anderen Familie geschehen, der kleine Sohn die zehn Minuten nutzt, um sich einen Stuhl an die Spüle zu rücken, um ein bisschen zu planschen, und da steht doch in der Spüle gerade noch der stinkende, frisch geleerte Kompost-Eimer mit Wasser zum Einweichen drin, und daneben stehen zufällig noch auf der Arbeitsplatte die Reste vom Mittagessen, die für den nächsten Tagvorgesehen sind (Schwupps! … vorgesehen
waren
), dann kommt man darauf, was Kinder unbedingt noch brauchen, um sich selbst beschäftigen zu lernen: Eltern mit guten Nerven! Oder bei Eltern mit schwächeren Nerven: Eltern, die gute Entspannungstechnikenbeherrschen. Ich persönlich habe als Mutter von drei Söhnen beschlossen, dass es bereits ein Meilenstein für einen entspannteren Alltag ist, wenn die Kinder lernen, sich ihre Kleider auszuziehen,
bevor
sie mit einer Schlammschlacht beginnen. Was auch hilfreich sein kann: Die Sauberkeitsstandards und die Kleidung an die Kinder anpassen (auf einer erdbraunen Hose sieht man Erdflecken kaum …), nicht umgekehrt. Es gibt kein Zeitalter, erst recht nicht das sogenannte digitale, in dem es sich nicht lohnen würde, die Lust der Kinder auf Abenteuer im echten Leben zu unterstützen. Auch wenn das manchmal kurzfristig mühsamer erscheint, ist es so viel leichter, als ein Kind, das einmal zum Bildschirmjunkie geworden ist, wieder ins Leben zurückzuholen.
Andere Zeiten, andere Probleme …
Das Beste, was in der oberen Sprechblase auch im Jahr 2011 stehen könnte, wäre ja: »Schön, dass du wieder da bist und so rote Backen mitbringst!« 4 Aber auch die Nerven von Eltern aus der bildschirmfreien Zone haben ihre Grenzen. Deshalb tauchten in den Interviews mit diesen Eltern neben der allgemeinen Aussage, man müsse den Kindern zutrauen, dass sie sich allein beschäftigen, sehr wohl auch Tricks für nervenschonende Alternativen zum Fernseher als Babysitter auf, unter denen folgende besonders häufig genannt wurden:
Papier und Stifte zum Malen bereitlegen (und eine unempfindliche Unterlage).
Eine Schatztruhe öffnen, die sonst immer geschlossen bleibt.
Täglich einmal an die frische Luft gehen.
Geschichten- oder Musikkassetten anschalten.
›Menschliche‹ Babysitter (ältere Geschwister, Nachbarn, etc.) engagieren.
Ein gutes Buch, das für jeden Tag des Jahres eine Spielidee anbietet, trägt den sprechenden Titel: 365 mal fernsehfrei – und Spaß dabei! (Habisreutinger 1997).
Die Tatsache, dass von den Eltern der bildschirmfreien Kinder nur wenige der Meinung waren, sie hätten weniger Zeit fürsich, ist ermutigend. Könnte man nicht einwenden, dass das Gesagte nur bei Kindern realistisch ist, die immer schon wenig Zeit mit Medien verbracht haben? Es ist ja nicht ohne Weiteres klar, ob eine solche überraschend entspannte und offenkundig ohne teure und aufwendige Alternativbabysitter auskommende Beschäftigungskultur von heute auf morgen funktionieren würde, wenn die Kinder an den Fernseher bereits gewöhnt sind.
Die Antwort ist, dass es zwar schwieriger ist, als wenn die Weichen von Anfang an in diese Richtung gestellt werden, aber mit etwas Geduld
sehr wohl möglich
. In Amerika wird zweimal jährlich eine groß angelegte Aktion TV-Turnoff, also »fernsehfreie Woche« durchgeführt. Tausende Amerikaner versuchen, im April und September jeweils eine Woche ohne Flimmerkiste und Computer auszukommen. Es lohnt sich nach den Erfahrungsberichten der Teilnehmerinnen in jedem Fall, dieses Experiment zu wagen:
Entweder stellt man dabei fest, dass die Unterschiede im Familienalltag klein sind, dann darf man sich zur Medienmündigkeit gratulieren: Wir können gut auch ohne leben! Oder es stellt sich heraus, dass sich die Überzeugung, man könne gut auch ohne Bildschirme leben, viel schwieriger gestaltet als erwartet: Dann kann man die wichtige Lehre daraus ziehen, dass man die Zeiten reduzieren sollte. Die Berichte der Teilnehmer sind sehr gemischt. Fest steht aber, dass es viele gibt, die das Experiment abbrechen, weil ihre Kinder zu sehr quengeln. Ach, wären sie doch noch ein paar Tage drangeblieben! Das zeigen Berichte von den Teilnehmern eines TV-Turnoffs, der einen ganzen Monat dauerte. Besonders die erste Woche war die schwerste: Streit
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