Medienmuendig
zwischen den Geschwistern, Langeweile, Nörgelei waren an der Tagesordnung. Nach und nach erst kam es zu dem angenehmen Gefühl, viel mehr Zeit zu haben, mehr miteinander in Kontakt zu sein und vor allem – Kinder zu haben, die sich überraschend gut selbst beschäftigen können.
Die erste Woche war für uns alle richtig hart. Die Kinder hingen herum und wussten nicht, was sie mit sich anfangen sollten. Ich schlug Lesen vor, und das taten wir auch, aber die Zeit wurde uns trotzdem lang. Nach der ersten Woche wurde es für uns alle leichter und leichter. Am Ende des Monats vermissten wir den Fernseher gar nicht mehr. 5
Also kann eine solche Umstellung zwar sicher nicht von heute auf morgen, wohl aber von einem Monat zum nächsten gelingen. Nur noch eine kleine Warnung zum Schluss: Vorsicht vor unerwarteten Risiken und Nebenwirkungen der bildschirmfreien Woche. Herr B. erzählt:
Das ist bei uns ganz schön ins Geld gegangen! Ja, meine Frau und ich saßen die ersten Abende da und fragten uns, was jetzt wohl kommt, das war wohl die Zeit, wo wir sonst immer den Fernseher angemacht haben. Und da setzte sich meine Frau ans Klavier und klimperte ein bisschen herum. Es hat ihr so gut gefallen, dass sie jetzt wieder Klavierstunden nimmt. Und das kommt teuer!
Bungee-Jumping statt Ballerspiel? Echte Alternativen müssen wachsen!
Medienproduzenten und manche Medienpädagogen übertreffen sich heute gern darin, die Sogwirkung von Medienprodukten kleinzureden und den Schwarzen Peter für exzessiven Medienkonsum den Eltern zuzuschustern: Bieten Sie dem Jugendlichen Alternativen an, heißt es dann gern als Lösungsvorschlag. Denken Sie dabei noch einmal an die Broschüre
Richtig spielen!,
die ich im 8. Kapitel schon erwähnt habe:
… die Heranwachsenden [suchen] aufgrund eines Mangels an real vorhandenen Alternativen einen Ersatz innerhalb virtueller Welten.
Über die Sogwirkung der Spiele, über die Tatsache, dass manche Spiele ein sehr hohes Abhängigkeitspotential haben, andere ein viel geringeres, darüber wird in der Broschüre ärgerlicherweise kein Wort geschrieben. Wenn ein Jugendlicher süchtig wird, sind angeblich die Eltern schuld. Die Spieleindustrie wälzt damit die Verantwortung für die Entstehung von Computerspielabhängigkeit komplett auf die Eltern ab, und das ist dreist, fast so dreist, als würde ein Alcopop-Hersteller die Devise an Eltern ausgeben, sie sollten den Jugendlichen vor allem »Alternativen anbieten«, um die Suchtgefahr zu mindern: Ein jugendlicher Alkoholiker wird aber nicht aufhören zu trinken, wenn man ihm genug Orangensaft, Tee, Cola oder Mineralwasser anbietet. Genauso wenig wird, wer von Computerspielen abhängig ist, sich vom Bildschirm wegbewegen, wenn man ihm einen Waldspaziergang, die Teilnahme an einem Töpferkurs oder eine Essenseinladung anbietet. Bungee-Jumping, vielleicht auch ein Besuch im Abenteuerpark, ja, das könnte ausreichend »Kick« versprechen, um den Jugendlichen für eine Weile vom Hocker zu reißen. Dass tägliches Bungee-Jumping zum täglichen Ballerspiel keine echte Alternative ist, dürfte aber wohl jedem klar sein.
Noch einmal: Die Fähigkeit zum kreativen Umgang mit Muße können Kinder nicht lernen, wenn bei Langeweile stets aufs Knöpfchen gedrückt werden kann. Wer an den dauernden medialen Kick gewöhnt ist, ist im falschen »Lernmodus« bereits fest verankert, über dessen schlimme Folgen, auch für die Lernfähigkeit in der Schule, in Kapitel 5 ausführlich berichtet wurde. Der Denkfehler in dem Vorschlag, die Eltern müssten »Alternativen anbieten«, besteht ja gerade in der zugrunde liegenden Auffassung vom Jugendlichen als Konsument von Bespaßungsangeboten. Das grundsätzlich Falsche daran ist die Idee, dass Jugendliche beschäftigt werden müssten. Der Fehler liegt also in der Annahme von Beschäftigung als Passiv-Konstruktion, um es einmal grammatisch präzise zu benennen. Kinder und Jugendliche können sich selbst beschäftigen. Sie können ihr Lebenin die Hand nehmen, ganz real. Dafür brauchen sie gute Bedingungen.
Sich Zeit für die Jugendlichen nehmen, Spielräume schaffen, ausdrücklich auch medienfreie Spielräume zur Entfaltung von schöpferischer Eigentätigkeit schaffen, das sollten Eltern unbedingt tun. Mit den Jugendlichen in Kontakt bleiben, mit ihnen über ihre Interessen und Wünsche sprechen, das sollten Eltern auch unbedingt tun. Aber der Versuch, durch immer faszinierendere Alternativangebote die Kinder vom
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