Medienmuendig
kurz nach draußen zu den fröhlichen Kindergestalten in den regennassen Anoraks.
Das Fernsehen ist etwas, das von der ganzen Entwicklung her, von dem her, was kleine Kinder in dem Alter alles erleben wollen, einfach nicht passt.
Sie sagt das ganz ruhig, ohne Eile, ohne Vorwurf oder Ereiferung. Hier spricht jemand, der sich sehr viele Gedanken über die Bedingungen gemacht hat, unter denen kleine Kinder gesund aufwachsen können: Annette betreut vormittags in einer Kindertagesstätte Kinder zwischen einem und drei Jahren. Ihr Mann ist zu 80 Prozent berufstätig. Sie weiß, dass es kleine Kinder gibt, bei denen die Dinge zu Hause ganz anders laufen als bei ihr. Als Expertin für frühkindliche Entwicklung kennt und nennt Annette im Interview viele gute Gründe, warum ein kleines Kind vor einem Bildschirm nichts zu suchen hat. Sie könnte Vorträge darüber halten. Aber genau das tut sie im Umgang mit anderen Eltern nicht.
Ich versuche, wenn ich die Eltern berate in der Kindertagesstätte (das sind eher junge Eltern), dass ich anderen Eltern nicht vorschreibe: So müsst ihr’s machen und so auf keinen Fall! Sondern ich lasse mir wirklich die Situation in der Familie erzählen und sage denen auch immer wieder, schaut euch das Kind an! Schaut euch, wenn überhaupt, eine Sendung mit dem Kind gemeinsam an, dann beobachtet genau, wie das auf das Kind wirkt.
Statt Vorträge zu halten, geht Annette mit den jungen Eltern wertschätzend, neugierig und verständnisvoll um, kommt mit ihnen ins Gespräch und regt vor allem zum genauen Beobachten der Kinder an. Das ist nicht selbstverständlich. Wer viel weiß und von seiner Erziehungsweise überzeugt ist, der möchte manchmal allzu gern andere überreden, es ihm gleichzutun. Es muss nicht falsch sein, sich mit anderen Eltern darüber auszutauschen,wie man Kinder erziehen möchte, und dabei auch eigene Positionen klar zu vertreten. Aber wer Außenseiterpositionen durchboxen will, auch wenn es noch so richtige und begrüßenswerte Positionen sind, der macht sich dabei leicht selbst zum Außenseiter. Dabei kann es für die Kinder und die Eltern erstens sehr zur Entspannung und »Integration« beitragen, sich ein Umfeld zu suchen, wo man mit diesen Haltungen nicht allein ist. So begründet eine andere Mutter ihre Entscheidung für den Waldkindergarten:
Um ehrlich zu sein, haben wir uns auch deswegen für den Waldkindergarten entschieden, weil wir einfach denken, dass hier nicht so viele Kinder schon in dem Alter vorm Bildschirm sitzen dürfen.
Was für manche der Waldkindergarten ist, kann für andere der Rückbildungskurs am Geburtshaus sein, die Waldorfschule, die Kirchengemeinde, das ökologische Wohnprojekt.
Zweitens aber geht es bei sozialen Fragen immer auch um Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden. Über Schwierigkeiten im sozialen Umfeld berichteten in den Interviews eher die »missionarischen« Nichtfernseher. Wer alle anderen davon überzeugen will, dass sie ihre Kinder genauso erziehen müssen wie man selbst, der kommt in Schwierigkeiten. Wer selbst Toleranz für die Andersartigkeit der anderen zeigt und ihre Wünsche respektiert, kann und darf damit rechnen, Verständnis für eigene Anliegen zu ernten.
Einige Beispiele: Selbstverständlich geben Sie dem Kind einer vegetarischen Familie nicht unabgesprochen Würstchen zu essen, sondern fragen vorher nach, oder? Auch klar, dass Sie scharfe Messer und Sägen beiseite räumen, wenn eine Familie zu Besuch kommt und die Eltern panische Angst haben, ihr Kind könnte sich verletzen. Ja, denn das Gastkind hat im Zweifelsfall keine Übung im Umgang mit spitzen Gegenständen und das Verletzungsrisiko wäre tatsächlich viel höher als bei Ihren eigenen, messergewöhnten Kindern. Auch wenn Ihr Kind vielleicht schon Cola trinken darf, werden Sie einem Gastkindkeine Cola geben, wenn die Eltern das nicht wollen. Dabei geht es dann nicht darum, wer recht hat, sondern darum, ob man bereit ist, auf die Erziehungsvorstellungen anderer Eltern Rücksicht zu nehmen Und wenn Sie andere Eltern bitten, dass Ihr Kind nicht ohne vorherige Absprache mit Fernsehen, PC oder Gameboy in Kontakt kommen soll, können Sie dann auch auf Unterstützung hoffen. Das scheint gut zu funktionieren, jedenfalls handhaben es etwa 80 Prozent der Eltern so, deren Kinder nicht fernsehen.
Zusammenfassend lassen sich auf die Frage, wie man nicht zum Außenseiter wird, an Annettes Beispiel schon zwei ermutigende Antworten finden:
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