Medienmuendig
Erstens, wie gesagt, indem man sich Gleichgesinnte sucht. Das heißt aber nicht nur außerhalb der eigenen Familie, sondern gerade durch Unterstützung und gemeinsames »An-einem-Strang-Ziehen« beider Eltern. Zweitens, indem man nicht missioniert, sondern Andere in ihrer Andersartigkeit respektiert und unterstützt. Drittens − das wird der folgende Abschnitt zeigen −, indem man gegenüber den eigenen Kindern Mut zu klaren Regelungen beweist, statt sich von Angst und Unsicherheit regieren zu lassen.
Ein trauriges Paradox: Einsamkeit aus Angst vor Einsamkeit
Franz Eidenbenz, der in der Schweiz ein Netzwerk für Therapie von Onlinesucht aufbaut, beschreibt einen wichtigen Aspekt der »Außenseiterfrage«. Wie reagieren starke Eltern, die ein gutes Verhältnis zu ihren Kindern haben, auf Forderungen ihrer Kinder? Sie sagen Ja, wenn sie etwas richtig finden, und Nein, wenn sie es falsch finden. Behauptet der sechsjährige Sohn, dass er nicht mitreden könne, wenn er den Harry-Potter-Film nicht sehen dürfe, was sagen dann starke Eltern? Nein. Oder sie fragen höchstens noch interessiert nach: »Ach wirklich? Wer sind denn alle diese anderen?« Wenn der Sohn protestiert, erklären sie, warum sie sich so entschieden haben. Sie könnendamit leben, dass er dann kurzfristig »sauer« auf die Eltern ist, weil sie seinen Forderungen nicht entsprochen haben.
Was sagen unsichere Eltern, die leicht an sich selbst zweifeln, auf dieselbe Forderungen? Ja. Fast immer. Sie können nicht Nein sagen. Sie halten es nicht aus, wenn das Kind auch mal »Blöde Mama!« oder »Du doofer Papa!« sagt (in der Jugendzeit bleibt es vermutlich nicht bei diesen zahmen Formulierungen …). Für diese Eltern scheint die gute Beziehung zwischen ihnen und ihrem Kind daran zu hängen, ob sie kurzfristig gemocht werden. Bei solchen Eltern ist klar, wie sie reagieren, wenn ihr sechsjähriger Sohn den Harry-Potter-Film einfordert: Sie können nicht Nein sagen, und zwar aus zwei Gründen nicht: weil sie die Zuneigung des Kindes brauchen und weil sie tatsächlich glauben, dass die Beziehung des Sohnes zu seinen Freunden von der Frage abhängt, ob er Harry Potter gucken darf oder nicht.
Franz Eidenbenz berichtet, dass bei vielen jungen Onlinesüchtigen, die mit ihren Familien in die systemische Therapie kommen, die Eltern unter einer Unfähigkeit leiden, Nein zu sagen. Das ist natürlich ein bestürzendes Bild. Der einsame junge Mann, der in vielen Fällen keinerlei Kontakte im realen Leben mehr aufrechterhält, also der Außenseiter, hat Eltern, die nie Nein sagen konnten. Dass die Eltern gerade deshalb nicht Nein sagen konnten, weil sie Angst hatten, ihr Sohn könne zum Außenseiter werden, ist ein trauriges Paradox.
Die Konsequenz aus diesen Überlegungen ist für alle Eltern, dass es sich lohnt, Nein zu sagen. Beim Fernseher, Gameboy und Computer ist das wesentlich leichter, wenn Bildschirme so lange gar kein Thema sind, also im Alltag keine Rolle spielen, wie das Kind zu klein ist, um ein begründetes Nein zu verstehen. Dass es später irgendwann einmal auch lautstarken Streit geben wird, ist weiter oben bereits geschildert worden. Wenn Sie aber als Eltern das Gefühl haben, mit dem Nein-Sagen überfordert zu sein, dann seien Sie so mutig, sich nicht erst dann Hilfe ins Haus zu holen, wenn schon ein schlimmer Fall vonSucht eingetreten ist. Oder wie wäre es, wenn Sie, ähnlich wie in den in Kapitel 3 beschriebenen Standfestigkeitstrainings, im Rollenspiel das Nein-Sagen üben würden?
Alle anderen dürfen aber … − Ein echtes Problem?
Auf einem Elternabend, es waren etwa drei Viertel der Eltern dieser Klasse anwesend, lachten die Eltern ganz befreit, als ihnen klar wurde, dass ihre etwa 14-jährigen Söhne allesamt behauptet hatten, sie müssten ein bestimmtes Computerspiel unbedingt haben, weil es »alle anderen« nämlich auch hätten. In Wirklichkeit hatte das Spiel anfangs nur ein einziger Junge. Man sagte mir, dieser Junge komme aus einer Familie, deren Erziehungsvorstellungen man nicht zum Maßstab für die ganze Klasse machen wollte. Zum Elternabend war aus der betreffenden Familie leider kein Elternteil gekommen. Es wäre ja sehr zu wünschen, dass immer mehr Eltern die Erziehung wieder mehr an das anpassen, was ihren Kindern gut tut, und nicht an eine Art »kleinsten gemeinsamen Nenner«. Wie hätten diese Eltern wohl reagiert, wenn die Jungen in der Klasse behauptet hätten: »Alle anderen gehen am Wochenende Koma-Saufen, nur ich
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